Ferrari mit Anhängerkupplung

Christoph Berger-SchauerMaterial

Titelfoto: Markus Frühmann

Das S-Works Stumpjumper EVO ist uns brutal ans Herz gewachsen. Weniger wegen dem begehrten S-Schriftzug, vielmehr wegen seiner unkomplizierten Vielseitigkeit. Unsere Erfahrungen mit dem Radl für alles.


S-Works Stumpjumper EVO MJ 2021

Preisaktuell € 11.000,- (zwischenzeitlich zw. 10.500 & 13.700)
Federweg160mm vorne, 150mm hinten
Laufräder29 Zoll
RahmenmaterialCarbon
Gewichtca. 14,5 kg
Garantielebenslang (Rahmen), wenn Produkt registriert ist
Gleiche LigaTrek Fuel EX, Rocky Mountain Instinct, Transition Sentinel, Radon Slide Trail, Propain Hugene 2

Mein ehemaliger Klassenvorstand hat immer gesagt, er kauft sich erst einen Ferrari, wenn es einen mit Anhängerkupplung gibt. Wär mein Klassenvorstand Mountainbiker, dann könnte er beim S-WORKS Stumpjumper EVO zuschlagen. Das hat zwar keine Anhängerkupplung (kann man für Thule & Co aber sicher montieren), dafür etwas, das man bei Bikes lange nicht hatte: einen Kofferraum.


Die wirklich praktischen Dinge

Man merkt schon in welche Richtung dieser Erfahrungsbericht geht. Selbst beim High End-Geschoss des Herstellers mit dem großen S lassen mich omnidirektionale Carbonfasern, funkelndes Kashima oder Geometrieverstellungen kalt. Mir taugen die wirklich praktischen Dinge. Da ist das SWAT-Fach im Unterrohr ganz vorne dabei. Nichts hat meinen alltäglichen Bike-Komfort in den letzten Jahren dermaßen erhöht wie dieses Loch im Rahmen. Einmal das Staufach mit Schlauch, Pumpe, Reifenhebern, Tubeless-Würstel und Müsliriegel geladen und man setzt sich Tag für Tag entspannt – nämlich ohne Rucksack, ohne Hipbag – auf’s Radl und fährt. Mit den angeführten Utensilien ist der Platz im Unterrohr vom Stumpy noch längst nicht ausgereizt. Wer bis auf Anschlag stopft, der kann vermutlich seine nächste Transpalp ohne Rucksack bestreiten. Einzig negative Begleiterscheinung: Durch das Stumpy ist mein Standard gestiegen. Radln ohne Staufach kommen für mich nun so wenig in Frage wie eine Wohnung mit Klo am Gang.

Das nächste praktische Ding! Wer sich über den S-WORKS Schriftzug an seinem Stumpy freuen darf, sollte sich noch mehr über das Gimmick im Steuerrohr erquicken. Dort slided die Ahead-Kappe lässig weg und es springt einem ein Multitool entgegen. Eine bessere Lösung – Platz und Mechanismus – hätte nicht einmal die NASA für viel Geld entwickeln können. Alles drauf, was man auf die Schnelle braucht. Und es rostet nicht (angeblich tun das andere Tools). Auf der Unterseite versteckt sich sogar noch ein Kettennieter samt -schloss. Ein so geniales Tool – das Specialized nicht einmal Wert findet in den Radl-Spezifikationen anzuführen.

Als drittes praktisches Ding würde ich tatsächlich das Bike selbst anführen. Das konnte ich sorglos überall hin einpacken, wissentlich, dass es mit allem fertig wird. So hat es mich in Drammen (NOR) den härtesten Bikepark überleben lassen, den ich vermutlich je gefahren bin. Am anderen Ende der Skala hat es mich durch die längste Mountainbike-Runde meines Lebens gebracht: alle legalen Trails im Wienerwald an einem Tag. 119km und 4.320 Höhenmeter. Mit einem Enduro-Radl. Setup-Änderung zwischen Drammen & Wienerwald: null.


Palmarés

Dinge, die ich mit dem S-WORKS Stumpjumper EVO angestellt hab:


Vielseitigkeit ist Trumpf

Obwohl, heute sind 150mm Federweg am Heck ja „nur mehr“ Trailbike. Also kurz vorm Downcountry. Das EVO bringt aber gegenüber dem normalen Stumpjumper die Bulligkeit, die beim Fahrer Vertrauen auslöst. Ein Anhaltspunkt zu anderen Bikes, die ich gefahren bin: das normale Stumpy ist mir vom Gefühl etwas zu filigran, das Trek Slash beispielsweise ein brutales Bügeleisen. Weil ich beim Springen zwar ausschau wie ein Racer, aber keiner bin, mag ich es, wenn ich nicht mit Mach 2 durch den Wald prügeln muss, damit sich im Fahrwerk etwas rührt. Ruppige Strecken, auf denen’s zur Sache geht, mag ich aber trotzdem. Das Stumpjumper EVO trifft für mich da genau die Mitte. Es ist so ausgeglichen, dass es verspielt ist, aber trotzdem satt liegt. Außerdem – und da geht’s glaub ich nicht nur mir so – hat man sofort beim ersten Draufsetzen das herrliche Gefühl: dieses Bike hab ich in der Hand. Es wirkt so intuitiv wie ein iPhone für einen 11-Jährigen.

Eine der knackigeren Strecken im Bikepark Hafjell mit dem Stumpy.

Am Fahrrad hab ich nichts verändert, außer Pedale drangeschraubt und den Lenker auf 760mm gekürzt. Zum verstellbaren Lenkwinkel und den Flip Chips kann ich herrlich wenig sagen. Ich hab gelesen, dass man damit 6 verschiedene Geometrie-Einstellungen zusammenbringt und sogar Mullet fahren könnte. Mein Radl ist aber super gelegen, deshalb war mir das herzlich wurscht. Es war auch nichts zu machen, außer einmal am Hinterrad eine neue Speiche einzuziehen und der Sattel zu wechseln (der originale ist bei einem gröberen Aufsetzer geknickt).


Die wirklich unpraktischen Dinge

Außer mit der Elektronik. Da stand ich auf Kriegsfuß. Es soll ja Leute geben, die sich extra eine Schaltung mit dem Kürzel AXS auf ihr perfekt mechanisch funktionierendes Fahrrad montieren. Diesen Schritt kann ich nicht nachvollziehen. Nach zwei Saisonen mit Akkus an Schaltwerk und Sattelstütze noch weniger. Ja, es funktioniert super. (Im Fall der Reverb ist die Funk-Technologie vielleicht sogar die einzige Möglichkeit, wie sie dauerhaft funktioniert.) Aber funktionieren tut eine Schaltung mit Seilzug auch super und ich brauch nicht dran zu denken den Akku aufzuladen. Dreimal darf man raten, was mir des Öfteren passiert ist. Genau. Akku leer. Dann beginnt das Wechselspiel zwischen Akku auf die Sattelstütze, Akku auf’s Schaltwerk und wieder retour, bis beide leer sind. Denkt man daheim daran sie aufzuladen, geht die Suche nach dem Ladegerät los. Denn ein bis zwei Monate sind genau der Zeitraum, in dem Sachen von „brauch ich oft“-Orten zu „hab ich schon länger nicht verwendet“-Ablageplätzen verschwinden. Ganz blöd steht man da, wenn einem am Berg nicht einer der Akkus leer wird, sondern die Knopfzelle im Trigger. Man merkt, die Elektronik am Radl und ich werden keine großen Freunde. Es war wahrscheinlich wirklich das einzige Teil, über das ich mich am Bike echauffierte. So sehr, dass meine Freunde das zum Anlass nahmen und mir am Einstieg zum Fernar Trail die Akkus fladderten. Was meine Beziehung zur AXS nicht gerade stärkte. Nur die cleane Optik, die kann man ihr nicht absprechen.

In Elba durfte es sogar mal ins Meer.

Kommen wir wieder zu den positiven Dingen, die ja bei diesem Gerät eindeutig überwiegen. Was mir richtig getaugt hat sind die Griffe. Eine Kleinigkeit, aber da merkt man, dass sich wer Gedanken gemacht hat. Mit den Deitys zieht jeder freiwillig seine Handschuhe aus, so angenehm sind die. Bei den Reifen setzt Specialiezd auf die hauseigenen Butcher und Eliminator. Ebenfalls top, aus meiner bescheidenen Perspektive. Einmal hab ich eine T9-Mischung am Hinterreifen probiert. Das ist allein aus Nachhaltigkeitsgründen nicht empfehlenswert. Da wird bald Greenpeace wegen erhöhtem Gummiabrieb anklopfen. T9 an der Frond und T7 am Heck – so wie bestückt – macht absolut Sinn.

Das S-Works Stumpjumper EVO ist ein komplett gelungenes Rad. Es ist das Bike, das ich jedem, der gern Mountainbike fährt, vorbehaltlos empfehlen könnte. Dass es mit den verschiedensten Anforderungen „fertig wird“ – wie oben geschrieben -, ist eigentlich eine Untertreibung. Es glänzt in allen Bereichen. Bergauf ist es ein Traum. Bergab sowieso. Es ist verspielt, wenn man man es dazu auffordert und ruhig, wenn man es braucht. Es ist so vielseitig – wirklich der Ferrari mit der Anhängerkupplung. Genau so muss es ja in dieser Preisklasse auch sein. In einem Bentley hat man auch wenig zu bekritteln (bis auf die fehlende Anhängerkupplung, wahrscheinlich). Weil es zwar schön ist in der Luxusliga, wir uns aber auch dem kleinen Biker verpflichtet fühlen, der keinen fünfstelligen Betrag (sondern nur einen vierstelligen) auf der Kante hat, schauen wir uns gerade an, ob man mit dem Specialized Stumpjumper EVO in der Alu-Version eventuell schnell mal 6.500 Eier sparen kann. Stay tuned, wie man so schön sagt.


Fazit

Ich glaub mir hat noch nie ein Fahrrad so viele grinsende Trail-Meter beschert wie das S-Works Stumpjumper EVO. Es ist die perfekte Balance von einem Bike: verspielt & trotzdem bullig. Man setzt sich drauf und fühlt sich daheim.

Foto: Markus Frühmann
Über den Author

Christoph Berger-Schauer

Dicke Schlappen, schmale Reifen, bergauf, bergab – ist für alles zu begeistern, nur flach darf es nicht sein. Unbekehrbarer Fahrrad-Afficionado, seit einiger Zeit vom Enduro-Virus befallen. Schreibt nieder, was andere nicht in Worte fassen können.

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