Scor, ein Kennenlernen

Max TrafellaLesestoff

Fotos: Dominique Müller & Jérémie Reuiller

In den letzten Jahren sind neue Bikemarken aus dem Boden geschossen wie die Schwammerl nach einer verregneten Septemberwoche. Oft mit unüblichen Designs und gerne auch mit radikalen Geometrien, so dass man sich manchmal denkt, „funktioniert das überhaupt noch, oder soll das nur wild ausschauen?“ Als im Sommer 2021 Scor auf meinem Radar aufkreuzte, war ich fast ein bisserl überrascht. Die vorgestellten Räder waren so erschreckend normal. Weder extra lang noch extra flach, kurze Kettenstreben wie anno dazumal und erst recht kein High-Pivot. Mir schien als hätten die Ingenieure während der Arbeit nie auf Pinkbike surfen dürfen. Oder war das alles vielleicht sogar Absicht? Glücklicherweise schmiss die junge Bikebrand dieses Jahr ein Pressecamp im Herzen der Toskana, und ich konnte am Weg dorthin noch ein bisserl über die oben gestellten Fragen nachdenken.


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Wer oder was ist Scor denn eigentlich?

Auf der hauseigenen Website wird kein Geheimnis zur Connection mit BMC gemacht. Passt aber irgendwie so gar nicht zusammen… Hometrails fetzen im Baumwollleiberl trifft auf rasierte Haxen und Intervalltraining. Alles mitsamt verdächtig. Und außerdem, wenn wir schon über Trailbikes und Enduros reden, BMC hatte ja sowieso immer das Trailfox…

Ja richtig, BMC hatte das Trailfox – und Scor hat es auch. Genauer gesagt zwei Stück. Als ich kurz nach meiner Ankunft meinen ersten Aperol schlürfe, steht eines dieser beiden Exemplare direkt vor meiner Nase.


Pfusch vom Feinsten

Mountainbike-Prototypen bekommt man selten zu Gesicht, erst recht nicht außerhalb des Downhillweltcups. Gerade bei Trail- und Endurobikes könnte man manchmal vermuten, dass die ganze Produktentwicklung am Computer stattfindet. Ein bisserl mehr Reach hier, flacherer Lenkwinkel dort, Loch ins Unterrohr und fertig ist der neue Rahmen, fehlt nur mehr ein fetziger Farbton. Trotzdem steht vor meiner Nase jetzt ein Radl, welches sich den Titel „Prototyp“ mehr als verdient hat.

Carbon, Aluminium, Kunstharz, alles gut vermengen und einen Tag ziehen lassen.

Man nehme ein BMC Trailfox, eine Akkuflex, ein bisserl Kunstharz und einen Haufen Carbongewebe. Dazu noch ein zweckgerecht zusammengeschraubter Hinterbau aus gefrästem Aluminium, und plötzlich wird aus einem etwas in die Jahre gekommenen Trailbike ein aktuelles Enduro mit einem neuartigen Hinterbaukonzept. Aber wie kam es eigentlich zu dieser Kreation, die sich auf Österreichisch sehr treffend mit dem Wort „Edelpfusch“ beschreiben lässt?

Mit diesem Bike fällt man wohl in jeder Liftschlange auf.

Ein Bike, ganz nach den eigenen Vorstellungen

Die Geschichte begann vor ein paar Jahren in Grenchen in der Schweiz, genauer gesagt am Firmensitz von BMC. Wie es sich für eine Fahrradmarke gehört, gehen dort täglich unzählige fahrradaffine Mitarbeiter ein und aus. Roadies, Triathleten, Marathonisti, Gravel-Bikepacking-Survival-Athleten – alle Disziplinen sind vertreten – natürlich auch Mountainbiker. Einige dieser Mountainbiker waren hauptsächlich auf den eher anspruchsvollen Trails rund um Biel unterwegs, davon gibt es nämlich so einige. Verschlägt es einen etwas weiter westlich in Richtung Neuchatel, findet man sogar eine der fettesten Jumplines der Schweiz. Diese Biker hatten aber alle eine Sache gemeinsam. BMC hatte seit Ewigkeiten kein neues bergaborientiertes Mountainbike mehr herausgebracht. „Die meisten von uns fuhren modifizierte Trailfox-Rahmen“, erklärt Christof Bigler, Produktdesigner bei BMC und Scor. „Winkelsteuersätze, Dämpfer mit mehr Hub, längere Gabeln. Aber wenn du Tag und Nacht neue Bikes baust, möchtest du irgendwann auch eines entwickeln, welches deinen Wünschen entspricht.“ Nach der Arbeit traf man sich auf ein Bier und tauschte Ideen aus, wie das eigenen Traumbike wohl aussehen würde. Diese Ideen wurden mit der Zeit immer konkreter: „Irgendwann wollten wir wissen, ob unser Konzept auch wirklich was taugen würde.“

Christof Bigler, einer der zwei Initiatoren des Projekts. In seiner Rolle als Industrial Designer auch
verantwortlich für die unverkennbare Optik der Bikes von Scor.

Das war der Moment, in dem es dem ersten Trailfox so richtig an den Kragen ging. Die vorhandene Geometrie wurde mit einem Trennschneider und händischer Laminier-Kunst auf einen aktuellen Stand gebracht. Der Hinterbau wurde noch vom existierenden Rahmen übernommen. „Das Ding ging bereits richtig gut, aber im Kopf hatten wir ein gänzlich neues Konzept,“ erwähnt Thomas und zeigt auf die rustikale Alu-Carbon-Mixtur vor meiner Nase. „Mit Hilfe der Development-Sparte im Firmensitz konnten wir diese Idee in unserem zweiten Prototypen umsetzen!“

Gesagt, getan. Das Konzept funktionierte, also schnell mit dem Prototyp zum Chef marschieren, neues Radl auf den Markt bringen und im besten Fall noch eine Gehaltserhöhung einstreifen, oder? „Uns war von Anfang an klar, dass dieses Konzept nicht wirklich ins Markenimage von BMC passt, allerdings waren beide Seiten davon überzeugt, dass dieses Radl bei sehr vielen Bikern richtig gut ankommen wird.“ Etwas Neues musste her, etwas Eigenständiges. Gleichzeitig wollte man aber nicht auf das Know-how und den Rückhalt eines global erfolgreichen Unternehmes verzichten, warum denn auch? Das war die Geburt von Scor, einer Bikebrand welche unter den Fittichen von BMC entstand, jedoch ein gänzlich anderes Bild verkörpert. Fern von Wettkampf, Effizienz und Leistung, geht es bei diesen Bikes rein um den Spaß am Mountainbiken. Schön, oder?


Bella Italia

Meerblick und griffiger Erdboden, was will man mehr?

Ein Jahr fast-forward und ich stehe auf einem kleinen Agriturismo in der Toskana. Erwartet habe ich ein klassisches Pressecamp. Allerdings gibt es nicht wie sonst neue Bikes oder bahnbrechende Entwicklungen zu bestaunen, es stehen auch keine langwierigen Powerpoint-Vorträge an der Tagesordnung. Das Motto der drei Tage im Süden lautet einfach Radlfahren und sich kennen lernen. Die Location ist gut gewählt. Wir befinden uns am Fuße des Piombino Trail-Areals, einer der wohl besten Bike-Destinationen der Toskana. In liebevoller Handarbeit hat das Team von Tuscany Bike hier ein Netz aus fetzgeilen Singletrails erschaffen, die sich durch die mediterranen Wälder meist bis ans tiefblaue Mittelmehr winden. Matteo, der Gründer von Tuscany Bikes, stellt sich als unser Guide für die kommenden Tage vor. Wenn ich die Glücksgefühle, die mich beim Biken überkommen, in einer Person beschreiben müsste, würd ich ihn als Beispiel nehmen. Scor hat eine fette Testflotte im Gepäck, nur die Nachwuchsmodelle haben sie passenderweise zuhause gelassen.

Matteo, der Mann hinter den Trails, motiviert bis zum geht nicht mehr.

Lineup

Doch welche Bikes haben die Schweizer denn eigentlich im Programm? Geht man nach dem Namen der Bikes gibt es eigentlich nur eines. Das 4060. Allerdings steckt bereits in der Produktbezeichnung das besondere Konzept des Bikes. 4060 steht für 140 und 160 Millimeter, und damit gleichzeitig ein Hinweis auf die möglichen Hinterbaukonfigurationen. Mithilfe eines Flipchips, einem Winkelsteuersatz und unterschiedlichen Federelementen lassen sich nämlich aus dem gleichen Rahmen zwei verschiedene Bikes bauen, das 4060 ST und das 4060 LT. Das ST verköpert hierbei ein spritziges Trailbike, während das LT als Enduro fürs Grobe daherrollt.

Die gleiche Gaudi gibts dann auch noch mit Motor, das Scor 4060 Z. Beflügelt von einem Shimano EP8 geht es mit dem 4060 Z ohne Schweißausbrüche bergauf. Die Geo am E-Bike ist quasi ident zum motorlosen Modell, lediglich die Kettenstreben wachsen um drei Millimeter. Auch beim Elektrohobel hat man die Wahl zwischen Trailbike und Enduro, wie gehabt mit entweder 140 oder 160 Millimetern am Heck.

Extra PS gefällig? Das 4060 Z ST, natürlich auch als langhubige LT-Version erhältlich!

Alle Modelle haben an der Front noch 10 Millimeter Extrafederweg und natürlich rollen sie alle auf 29 Zoll durch die Botanik.


Endlich Radlfahrn

Stichwort Botanik, inzwischen befinden wir uns genau dort. Für den ersten Tag stehen E-Bikes auf der Speisekarte, genauer gesagt das 4060 Z ST. Entspannen kurbeln wir bergauf, die Uphills in Piombino sind ein feiner Mix aus Schotterstraßen und Trails, nie zu steil, oft mit Meerblick. Ins Schwitzen kommt dank Motor keiner, trotzdem geht es mehr als zügig bergauf. Nimmt man zum ersten Mal auf dem 4060 Z Platz, spürt man gleich die Philosophie, die sich durch alle Bikes von Scor zieht. E-Bikes werden oft mit Superlativen beschrieben. Stabiler, stärker, potenter, fetter als alles je Dagewesene. Dieses Radl ist jedoch anders. Ich bin auf der ST Version unterwegs, also 140mm Federweg am Heck und, wie soll ich sagen, schon beim Abstimmen am Parkplatz kam irgendwie nie dieses Panzer-Gefühl auf welches ich bis jetzt bei fast allen E-Bikes hatte. Versteht mich nicht falsch, das Trumm hat ein dickes Unterrohr und gut über 20 Kilo, so wie halt jedes vollwertige Elektrogerät fürs Grobe, aber irgendwie fühlt es sich von Anfang an agil und poppig an. Sogar aufs Hinterradl geht es verhältnismäßig easy, alles in allem sehr verdächtig.

Der Grund für diesen unorthodoxen Charakter lässt sich wohl am ehesten in der Geometrietabelle finden. Die Stromradl von Scor rollen wie bereits erwähnt auf der exakt gleichen Geometrie daher, wie ihr Pendant ohne Motor. Lediglich die Kettenstrebe wächst beim E-Bike um 3mm, und stolziert dann mit schlanken 436mm hinter der Kurbel. Und auch wenn der Hype um kurze Kettenstreben vorbei ist, diesem Radl stehen sie hervorragend. Vom Anfang ist das 4060 Z ST eines der wendigsten E-Bikes, auf denen ich je Platz nehmen durfte, und genau so ein Vehikel braucht man bereits am ersten Trail des Tages.

Piombino bietet so ziemlich alles was das Bikerherz begehrt. Vorallem richtig feine Kurven!

Eine Horde grinsender Biker wedelt durch den Wald, der Trail schupft uns von einer Kurve in die nächste. Vorneweg unser Guide, Matteo, er kennt hier jede Wurzel und legt eine ordentliche Pace vor. Dahinter wir, die Presse sozusagen, aber wir sind nicht allein. Das gesamte anwesende Team von Scor lässt es sich natürlich nicht nehmen mit uns die Trails unsicher zu machen. So schön kann arbeiten sein. Das Meer kommt immer näher, der Grundspeed ist nicht von schlechten Eltern. Damit das auch so bleibt sind vier weitere Rider mit von der Partie, das Scor Collective.


Collective?

Schreibt man das nicht CLLCTV? In diesem Fall nicht. Nahezu jede Bikebrand hat ihr Factory Team, welches von Worldcup zu Worldcup reist. Was allerdings, wenn Wettkämpfe nicht unbedingt im Zentrum der Firmenphilosophie stehen? Krallt man sich den erstbesten YouTuber und lässt seine Radl einmal in der Woche online beweihräuchern? Oder geht man das Thema etwas tiefsinniger an? Als Frontman, Chef oder auch einfach Kopf des Scor Collective agiert niemand geringeres als Ludo May.

Ludo May, die Race-Gene sind unverkennbar.

Der Local aus Verbier kann wohl als Enduro-Urgestein bezeichnet werden, war live dabei als die EWS noch für Abenteuer mit Zeitmessung stand (und nicht Downhill in fünf Etappen). Als langjähriger Spezl der Initiatoren von Scor war er einer der Ersten, die in das Projekt eingeweiht wurden, und nach etwas Skepsis am Anfang auch bald mit an Bord. Ein Hansl macht aber noch kein Collective, deswegen wurden noch drei weitere Charaktere an Land gezogen. Thomas Delgatto, Fannie Burkhardt und Kasi Schmidt. Letzterer dürfte so einigen Leuten aus Innsbruck bekannt sein, dort hat er nämlich sein Studium absolviert. Das Scor Collective setzt die Bikes auf Events in Szene, produziert Fotos und Videos und klebt Leuten wie mir bei Pressecamps ordentlich am Hinterradl.


Motorlos, grandios

Weiter geht’s, nächster Trail. Die Wegerl im Hinterland von Piombino gleichen einem endlosen Labyrinth. Uphill Trails mit unzähligen Switchbacks, wilde Heizerei durch uralte Hohlwege, frisch geshapte Anlieger und Sprünge, dann wieder ein paar Felsstufen und plötzlich wird man zum fünften Mal in einer neuen Bucht direkt am Meer ausgespuckt. Am Ende des Tages Pizza und Moretti, am nächsten Tag wieder Trails und Meerblick. Damit ich zuhause nicht gelyncht werde, steige ich natürlich auch voller Freude auf das 4060 LT ohne Motor. Gute Entscheidung. Bereits im Uphill fühlt es sich leicht und flockig an, der Hinterbau arbeitet effizient und bietet trotzdem massig Grip. Wir biegen in den ersten Trail ein und die Gaudi geht los. Spielerisch, leichtfüßig und verdammt lustig geht’s auf dem 4060 LT dahin, alles fühlt sich leicht und locker an. Das Rad lädt zum Abziehen an jeder erdenklichen Kante ein, falls dabei etwas schief geht hat das Fahrwerk aber mehr als genug Reserve. Eingewöhnungszeit brauch ich keine, man fühlt sich sofort wohl.


Urlaubsfeeling

Die wohl wichtigste Tätigkeit beim Frühstück.

Dieser Wohlfühlkarakter hört auch abseits der Trails nicht auf. Das Team von Scor wirkt weniger wie eine Arbeitsgemeinschaft, eher wie ein Haufen guter Freunde. Und netterweise wurden auch wir in diesem Kreis herzlich willkommen geheißen. Man frühstückt gemeinsam, im Minutentakt wird die Kaffeemaschine neu gestopft. Auch auf den Trails liegt der Fokus nicht darauf, Testeindrücke zusammeln und möglichst viele Fotos zu machen. Eher gehts darum gemeinsam feine Wegerl zu fahren, und dabei einfach eine Mordsgaudi zu haben. Für Außenstehende siehts wohl so aus, als ob wir alle zusammen ein paar Tage Urlaub im Süden machen. Vielleicht war das insgeheim auch der Plan…

Über den Author

Max Trafella

Gehört zu den schnellsten Enduristen Österreichs. Genießt die Zeit im obersteirischen Bergland aber mindestens genau so, wie das Racen mit Chip am Radl. Der Mann hinter dem feinsten legalen Trail Österreichs.

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