Chainless auf Italienisch

Kersten BognerMaterial

Fotos: Ochain

Die neuartige Kettenblatt-Konstruktion Ochain hat dem Pedalrückschlag den Kampf angesagt.


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Es ist unvermeidlich diesen Artikel mit der Erinnerung an Neko Mulallys Husarenritt bei der Downhill-WM 2014, sowie Aaron Gwins denkwürdigem Lauf in Leogang ein Jahr später zu beginnen. Obwohl beiden quasi im Starthaus die Kette abhanden kam, erreichte Mullaly seine beste Karriereplatzierung überhaupt und Gwin gewann das Weltcuprennen im schönen Salzburger Land sogar. Ob es ihnen mit Kette vielleicht noch besser ergangen wäre, weiß man nicht, sie sind jedenfalls danach auch wieder mit einer solchen an den Start gegangen. Die „Chainless-Legende“ aber ist seither eine sehr lebendige und war vielleicht auch Ausgangspunkt zur Entwicklung der Ochain Active Spider, welche es geschafft haben soll das Chainless Feeling mit Kette zu kombinieren.

So schaut das System am Radl aus.

Als technisches Nackerbatzerl dachte ich bis vor wenigen Monaten eigentlich mit dem Erwerb eines neuen Dämpfers den Zenit der Hinterbauoptimierung erreicht zu haben. Das änderte sich durch den Auftrag zum Test der Ochain Active Spider. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich mir zwar keiner Beeinträchtigung durch unerwünschte Kettenkräfte bewusst, im Zuge der Beschäftigung mit dem Thema wurden mir aber meine grobe Wissenslücken in Sachen Hinterbau-Kinematik vor Augen geführt. Und sieht man die unterschiedlichen Ansätze in der Systemarchitektur verschiedener Hersteller, sowie deren noch immer dahingaloppierenden Evolution, erahnt man die Komplexität der Angelegenheit. 


Pedalrückschlag

Bei praktisch allen Full Suspension Bikes vergrößert sich beim Einfedern die Distanz der Hinterachse zum Tretlager. Das liegt daran, dass der Rotationsdrehpunkt des Hinterbaus oberhalb des Tretlagers liegt. Die Distanz zwischen Kassette und Tretlager wächst, die an beiden Punkten „befestigte“ Kette muss sich die fehlende Länge irgendwo herholen. Kann sich das Hinterrad/Freilauf im Moment des Einfederns/Distanzwachstums frei drehen, wird sich die Kassette im Uhrzeigersinn drehen und mehr Kette zur Verfügung stellen. Beim Einfedern des Hinterbaus mit blockiertem Hinterrad wird hingegen das Kettenblatt samt Kurbel gezwungen sich um einen bestimmten Winkel rückwärts gegen den Uhrzeigersinn zu drehen und den dadurch entstehenden Impuls via Pedal an den Fahrer weiterzugeben. Je nach Federweg und Konstruktion soll dieser bis zu 20 Grad ausmachen. Ausserdem behindert der Kettenzug auch den Dämpfer an seiner Arbeit.


Wann kommt es dazu?

Immer wenn das Hinterrad einfedert und sich dabei die Kassette nicht oder – im Verhältnis zur Winkelveränderung des Hinterbaus – zu langsam, drehen kann. Das könnte zum Beispiel bei Fahrten mit blockierendem oder gebremstem Hinterrad über Geländestufen, Steine und Wurzelteppiche – oder Landungen von Drops mit geringer Geschwindigkeit der Fall sein.  

Vor Augen führen kann man sich den Pedalrückschlag ganz einfach indem man sich aus dem Stand ordentlich in den Sattel seines (Full Suspension-)Rades fallen lässt und aufs Kettenblatt runtersieht. Dabei kann man die Rückwärtsbewegung der Kette gut erkennen, besonders wenn man einen Referenzpunkt wie eine Kettenführung im Blickfeld hat. Weil das Hinterrad in der Praxis selten komplett blockiert und sich die Kette per nachgebender Rotation der Kassette die fehlende Länge „holen“ kann, fällt der Pedalrückschlag meist nicht allzu stark aus und dringt weniger feinfühligen Fahrern wie mir nicht unbedingt immer als solcher ins Bewusstsein. Je schneller sich das Hinterrad dreht desto geringer wird der Pedalrückschlag.

Montage der Kurbel am Spider.

Wie wirkt Ochain?

Ochain entkoppelt die Kurbel vom Kettenblatt. Das System besteht aus zwei gegeneinander rotierenden Platten. Eine ist an der Kurbel-, die andere am Kettenblatt montiert. Der zur Verfügung stehende Rotationswinkel kann per mitgelieferten Elastomeren gewählt werden. Mitgeliefert werden die wohl gebräuchlichsten mit 4, 6 oder 9 Grad, zum Nachrüsten gibt es auch eine Version mit 12 Grad, die aber wirklich nur für kinematische Extremfälle nötig werden sollte. Ist der Spider aktiv geworden, sorgt eine Feder für die schnelle Rückkehr in die Ausgangsposition und damit für die permanente Arbeitsbereitschaft des Systems.


In der Praxis

Zugegeben, ich konnte bei der Montage auf die Hilfe eines erfahrenen Mechanikers zurückgreifen. Beim Zusehen reifte in mir aber der Gedanke dem Unterfangen im etwaigen Wiederholungsfall wohl auch mit meinen zwei Linken Herr werden zu können. Aber man will ja so ein wertvolles Kleinod nicht durch unsachgemäße Handhabung beschädigen. Jedenfalls hat mir beim nach Hause radeln vom Schrauber meines Vertrauens der erste „Tritt ins Leere“ kurz einmal einen kleinen Schreck versetzt, und das obwohl ich nur die 4 Grad Version installiert hatte. Tritt man ins Pedal verpuffen die ersten 4, 6, 9 oder 12 Grad der Bewegung logischerweise auch erstmal im „gedämpften“ Nichts, danach herrscht aber eh wieder Normalität. Dem passionierten Bergauffahrer wird das, zusätzlich zu dem im Vergleich zu einem „ledigen“ Kettenblatt etwas höheren Gewicht, wohl keine Freude bereiten. Im Downhillbetrieb war es für mich nach dem ersten Anfahren kein Thema mehr, und da für mich Bergauf nur eine Notwendigkeit fürs Bergab darstellt, könnte ich mir das Gerät auch an der Kurbel meines Enduros gut vorstellen. Getestet habe ich es aber auf meinem Downhill-Bike, einem Eingelenker mit Umlenkung. Für mich war das Fahrgefühl mit der Ochain Active Spider spürbar „geschmeidiger“ als ohne. Die bei der Erstinstallation gewählte geringste Winkelpufferung reichte mir vollkommen um einen Unterschied zum Betrieb per normalem Kettenblatt zu spüren. Ich habe das Ochain seit gut drei Monaten und etwa 500 Bikepark-Kkilometern samt Renneinsätzen ohne merklichen Verschleiß in Gebrauch.  

Weltcuperprobt.

Wem könnte es gefallen?

Du spürst Pedalrückschlag und kannst knapp 300 Euro für die Anschaffung des Ochain verschmerzen? Dann bist du in der Zielgruppe. Unschlüssigen empfehle ich zuerst einmal einen Blick auf das eventuell auszustattende Rad. Manche Bauarten neigen konstruktionsbedingt mehr zur Kettenverlängerung als andere. Die wieder modern werdenden Fahrwerke mit hohem Umlenkpunkt lösen das Problem der Kettenstreckung zum Beispiel über Umlenkrollen, welche den oberen Teil der Kette näher an den höherenen Drehpunkt führen.

Wie weit das Ochain für eine spürbare Verbesserung im Fahrkomfort und der Dämpfungseigenschaften sorgen wird, hängt vom Raddesign, dem bevorzugten Terrain, sowie dem Fahrstil ab. Im Downhill Weltcup nutzen unter anderem die Teams von Canyon, Trek Factory Racing, YT oder Propain die neue Kettenblattkonstruktion. Ein gewisser Andreas Kolb fährt ebenfalls damit. Auch bei der Enduro-Elite greifen mittlerweile viele Factory Racing Teams auf das Ochain zurück. Und selbst unter Normalsterblichen werden Downhiller, Enduristen und Bikeparkfreunde logischerweise die meiste Freude damit haben.

Im Weltcup wird oft Ochain gefahren.

Fazit

Besserungen an einer Stelle können im komplexen Hinterbausystem eines Full Suspension-Mountainbikes zu Funktionsnachteilen an anderer Stelle führen. Das Ochain verhindert spürbar Pedalrückschlag ohne dabei weiter ins System einzugreifen. Nachteil: Es kostet knapp 300 Euro, bringt etwas Mehrgewicht aufs Rad und beim Antritt hat man im ersten Moment der Kurbelbewegung mit einem kleinen Leerweg zu rechnen. Erhältlich ist das Ochain in schwarz oder silber für die Kurbeln von SRAM, Shimano, Raceface, FSA, Hope, Cane Creek und e*thirteen. In Österreich haben die Fahrwerksspezialisten von Styrian Flow den Vertrieb übernommen.

Über den Author

Kersten Bogner

Burgenländer mit dem es seit den 1980ern bergab geht, bevorzugt auf dicken Reifen. Nach 25 Jahren Boards, Weltenbummel und Rock'n'Roll nun voll im Downhillfieber. Anders gesagt: Old but gold!

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