Unsere fröhliche Winterflucht-Bike-Truppe ist zusammengetrommelt. Madeira soll es diesmal werden. Videos von Joe Barnes und Local Emanuel Pombo lassen uns Tickets für die Blumeninsel buchen. Und der Urlaub beginnt, wie jeder unserer Flüchte beginnt: kein Schnee in Sicht seit Winterbeginn, doch exakt wenn wir uns in aller Herrgottsfrüh auf den Weg zum Münchner Flughafen machen, schnupft Frau Holle Koks und geht steil.
Weil noch kein Flieger ohne uns geflogen ist, schaffen wir es auch diesmal pünktlich zum Gate. Ein paar Stunden später sind wir in Funchal, wo unser Bike-Urlaub mit den herrlich spannend-entspannenden Ingredienzen Ferienhaus, Taxler und GPS-Tracks beginnt.
Taxi
Den Shuttlefahrer unseres Vertrauens – die Methode hat sich bewährt – wählen wir aus jenen Inseltaxis aus, die eine Mailadresse besitzen. Jener Besitzer eines gelben Autos, der sich auf eine Wochenpauschale einlässt, darf mit uns sieben Tage lang je zwei Shuttle Runs verbringen. Antonio Spinola ist diesmal unser Mann. Braungebrannt, adrettes Auftreten, so wie man sich einen Spanier vorstellt. Als die ersten englischen Worte über seine Lippen kommen, schauen wir uns erleichtert an. 1:0 für Madeira gegen La Palma.
Ferienhaus
Die Unterkunft ist meine Domäne. Aus der spärlichen Beschreibung im Internet und den meist hervorragenden Fotografien versuche ich die Realität herauszufiltern und eine schöne Herberge für uns zu finden. „Mit Pool“ heißt meistens: ja, es gibt einen Pool, der ist aber saukalt, defekt oder am Nachbargrundstück. Diesmal war die Vorgabe „ein Haus am Meer“. Unser Haus in Paul do Mar steht sowas von am Meer. So nah, dass wir in die Brandung spucken können. Das Yellow House ist für unsere Verhältnisse ein Palast auf drei Stockwerken. Radlkeller, Dachterrasse und Balkon. Dort werden wir garantiert jeden Tag frühstücken.
The Place to be
Tag 1 bricht an. Wir frühstücken im Wohnzimmer. Der Wind ist dermaßen stark, dass selbst eine dicke Schicht Nutella kein Brot am Tisch halten kann. Ab Tag 2 sind alle meerseitigen Fenster blind vor lauter Salz. Weder Balkon noch Dachterrasse werden die restlichen Tage von uns genutzt. Dafür erweist sich Paul do Mar als Glücksgriff, denn Madeiras angesagteste Bar – das Marktub – befindet sich in der 871-Einwohner-Gemeinde und serviert die besten Cocktails und Reggae-Musik. Gleich daneben in der „Bar de Pedra o Poleiro“ machen wir Bekanntschaft mit dem Inselgetränk „Poncha“ (ein Mix aus Rum, Honig, Orangen- und Zitronensaft) und ahnen, dass diesem Liquid ein erhebliches Gefahrenpotenzial inne wohnt.
Kein leichter Start
In La Palma war alles todeleinfach. Also ideal für uns. Navigieren ist dort ein Kinderspiel, weil es nur einen Bergrücken gibt. Die Vegetation ist harmlos, genau wie die Tierwelt. Madeira ist da ganz anders. Als uns das Navi in einen verwachsenen Trail führt, bangen wir, dass wir wieder hinauskommen. Auf jedem Quadratzentimeter wachsen 17 Pflanzen. Der Großteil davon ist mit Dornen geschmückt. Sträucher, die man während der Fahrt streift, fühlen sich an wie Streicheleinheiten mit er Drahtbürste. Der Untergrund schaut oft trocken aus, ist aber tückisch rutschig. Die etlichen Schluchten stellen unsere von den Kanaren verweichlichten Navigationskenntnisse auf die Probe. Kühe versperren uns in Schluchten den Weg (siehe Abspann vom Video). Und das Wetter ist weit weg von konstanten 25 Grad und Sonnenschein. Untypischerweise für solche Urlaube haben wir am ersten Tag quasi unseren gesamten Kofferinhalt an. Als sich dann die als „Todesstiege“ getaufte Ansammlung von Stufen mein Vorderrad krallt und partout nicht mehr auslassen will, beschleicht uns das Gefühl, dass diese Insel etwas gegen uns hat.
Antonio
Die Schmerzen und Übelkeit nach meinem Stiegenaufschlag sind enorm. Rettungshubschrauber gibt es auf Madeira keinen. Ich kämpfe mich 1.000 Tiefenmeter Richtung Meer, wo mein Gelber Engel in Form von Antonio wartet. Der Mann ist überhaupt Gold wert. Biken tut er zwar nicht, im Sommer ist er aber Wanderführer und kennt damit jeden Weg in- und auswendig. Seine Einschätzung was fahrbar ist und was nicht, ist erstaunlich präzise. Dass er immer dort wartet, wo der Trail endet, ist überhaupt Luxus pur.
Es ist sein erstes Mal, dass er Radfahrer im Fiat Scudo mit den Alufelgen transportiert. Interessiert fragt er uns, was Biker so benötigen, ob ein Anhänger notwendig ist. Tags darauf zeigt er uns schon ein Angebot für den Anhänger, dass er eingeholt hat. Offensichtlich sind wir nicht die schlechtesten Gäste, denn in Zukunft will er mehr Mountainbiker shutteln. Dafür ist dieser Tage die Heimat von Cristiano Ronaldo sicher nicht das schlechteste Pflaster. Dessen Mutter hat übrigens auch schon auf Antonios Rückbank Platz genommen.
La Bomba
Zum Ritual unserer Runde gehört es, den dümmsten Move am Radl zu würdigen. Ähnlich wie bei der Tour de France das gelbe Trikot für den Führenden. Letztes Jahr bekam der Glückliche blinkende Hoden an den Sattel gehängt. „Cojones“ als Wanderpokal. Für heuer hatte sich mein Bruder eine noch größere Demütigung einfallen lassen: eine Haube für den Helm in Bombenform. Mangels Praktikabilität und übergroßem Fremdschämen gibt’s nur wenige Bilder davon. Es dauerte allerdings nicht lange, bis „Photobomb“ real wurde.
Kitschig
Madeira bemüht sich den mörderischen Ersteindruck wett zu machen. Wir bekommen die kitschigsten Sonnenuntergänge serviert, ballern uns auf den herrlichsten Trails die Hände leer, bestaunen die massiven Sprünge von Brendan Faircloughs Deathgrip-Line, folgen Ratboy auf seinen „Madeira Dreamin‘„-Spuren und schlürfen mit Antonio die besten Kaffees in den kleinsten Bars. Selbst die „Veredas“, richtig steile Steinwege, stellen sich als fahrbar und zumindest aussichtstechnisch lohnenswert heraus.
Vereda in den Untergang
So eine Vereda ist es auch, die uns am letzten Radltag direkt bei der „Bar de Pedra o Poleiro“ ausspuckt. Morgen um neun holt uns Antonio ab. Wir müssen in unserer 800 Meter entfernten Unterkunft die Bikes in die Koffer packen und das Yellow House säubern. Der Sonnenuntergang ist allerdings zu verlockend, das Bier auch. Eine Runde Poncha folgt.
Der Wecker läutet um 6:30 Uhr. Wir können alle noch nicht einmal geradeaus schauen. Das Zusammenpacken und -räumen ist ein einziger Kampf um’s Überleben. Es wird klar: Die Insel hat einen letzten Anschlag auf uns versucht. Die Folgen begleiten uns auf der Fahrt zum Flughafen und darüber hinaus. Antonio meint, wir schauen aus, als ob wir Urlaub brauchen könnten. Obrigado.
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