„Musst du dir jetzt die Arme verlängern lassen?“ fragt mein fürsorglicher Kollege, als er erfährt, dass ein Bold auf dem Weg zu mir ist. Die Frage ist absolut berechtigt. Die Geometrie-Tabelle brachte mich ein bisserl in Schwitzen. Bei meinen unglaublichen 1,74 Metern hat mir Bold zur Medium-Ausführung des Unplugged Volume 1 geraten. Ein Unplugged 1 in M ist allerdings ein richtiges Gerät. Vom Radstand her länger als ein 27,5er Giant Reign in Large – das ja auch nicht zu den kürzesten Radln dieser Welt gehört.
Bold Unplugged Volume 1
Preis | ab € 4.968,- |
Federweg | 164mm hinten, bis zu 180mm vorne |
Laufräder | 29 Zoll (auch 27,5 Zoll möglich) |
Rahmenmaterial | Carbon |
Gewicht | ca. 15,4 kg |
Garantie | 3 Jahre (Rahmen) |
Gleiche Liga | Rocky Mountain Slayer, Scott Genius |
Schweizer sind, wie wir seit James Bond-Filmen wissen, wo sie diskret Koffer mit Barem verwahren, sehr vertrauenswürdig, deshalb Medium bestellt. Und siehe da: einfach wohlgefühlt. Ja, es ist lang. Da werden Kofferraum-Kapazitätsgrenzen ausgelotet. Aber das Gefühl am Bike ist alles andere als Autobus. Das Unplugged schafft den Spagat zwischen allem. Es ist verspielt, wenn man sich wegpoppen will. Liegt satt, wenn’s rough wird. Vermittelt Laufruhe, zum Beispiel in Anliegern. Und ist agil, wenn es wieder mal mein halbflowiges Gestottere auf verblockten Wanderwegen ertragen muss. Ganz saloppt formuliert: es ist das beste Bike, auf dem ich jemals sitzen durfte.
Schneller & sicherer
„Agil“, „laufruhig“ und Co, das klingt arg nach Marketingfloskeln und da sind wir beim LINES ein bisserl allergisch drauf (wie ihr wahrscheinlich auch). Viel besser als diese abgenudelten Formulierungen beschreibt folgender Umstand für mich, wie unglaublich gut sich dieses Teil fährt: ich bin noch nie so wenig gestürzt, wie mit diesem Radl. Und das obwohl ich lt. unabhängigen Expertenmeinungen flotter unterwegs war als je zuvor. Immer noch nicht auf Richie Rude-Reisegeschwindigkeit, aber doch flotter als mein vorjähriges ich. In einer ganzen Saison mit – herrlicherweise – richtig vielen Radltagen, habe ich exakt zweimal unfreiwillig mit dem Bold den Boden sondiert. Einmal im extremen Staub vom Trailwerk Wachau und einmal im extremen Lehmgatsch vom Trailcenter Hohe Wand Wiese. Da kann das Radl nur sehr, sehr begrenzt etwas dafür.
Publikumsmagnet
Das Bold selbst pflegt ja ein richtig dezentes Erscheinungsbild. Und genau das zieht jede Menge Blicke auf sich. Jedem zukünftigen Bold-Besitzer kann ich eines mit auf den Weg geben: eine Menschentraube ist schneller gebildet, als das Radl vorm Gastgarten abgesperrt ist. Es gibt selten Bikes, auf die man öfter angesprochen wird. Selbst bei Großevents, wie dem Weltcup in Val di Sole, wo etliche neue Hobel und Prototype unterwegs sind, hatten die Tifosi nur Augen für’s Bold. An vor Kompetenz strotzenden Aussagen wie „Ist das ein E-Bike?“ oder „Wow, was für wuchtiges Hardtail“ muss man sich dank des versteckten Dämpfers gewöhnen. Der ist mit Sicherheit nichts für Vielversteller (weil nur über eine Abdeckung am Unterrohr zugänglich). Jeder Normalbiker wird aber merken, dass zwei Inbus nicht den Weltuntergang bedeuten.
Der Souverän
Fast so wie die niedrige Ausrutscherquote mit dem Bold hat mich seine Souveränität in jeder Situation fasziniert. Ich bin echt angetan von dem, was man mit diesem Bike anstellen kann. Die wuchtigen 15+ Kilo und der lange Radstand lassen es nicht vermuten, aber dieses Teil ist auch abseits bikespezifisch-gepflegter Strecken „hürre geil“. Wanderwege, Jägersteige, selbst dreieinhalbtausend Höhenmeter am Tag strampeln sind dank Lock Out-Twister für den Dämpfer kommod machbar. Im Aostatal lief das Radl dann sowieso zur Höchstform auf. Den ganzen Tag im Bikepark La Thuile austoben (bei Gott nicht das leichteste Geläuf) und wenn der Lift zusperrt noch einen Höhenkilometer zur letzten EWS-Stage kurbeln. Und das Geniale: ohne auch nur ein einziges Ding am Radl zu verändern. Genau so soll’s sein.
Gimmicks wie die Lenkwinkelverstellung oder die Möglichkeit 27,5″-Laufräder zu fahren hab ich übrigens nie genutzt. Das Bike hat besser funktioniert als erwartet, dafür war schlichtweg keine Bedürfnis da.
Palmarés
Dinge, die ich mit dem Bold Unplugged Volume 1 angestellt hab:
- Kasberg Inferno
- White Fast Down, Semmering
- LINES Ride Bikepark Kalnica
- 3x Trailcenter Hohe Wand Wiese (inkl. WWT Cup & MTB-Schnitzeljagd)
- Enduro-Erkundung im Piemont
- Enduro-Erkundung Südosttschechien
- Opening Bike Republic Sölden
- 2x Bikepark Hradiste
- Reiteralm Trails
- 2x Saalbach Hinterglemm
- die neuen Enduro-Trails in Leogang
- Austrian Gravity Series Mariazell
- Bikepark Lienz
- Val di Sole, Passo Tonale & Brenta Bike Park
- LINES Ride Bikepark Innsbruck
- Aostatal
- Serfaus-Fiss-Ladis
- Reschenpass
- Bikearena Aflenz
- Lakeside Race
- LINES Ride Bikeshop Kreuzer, Bad Vöslau
- Ennstal Trail-Tour (3.500hm)
- 3x Trailwerk Wachau
- LINES Ride Wexl Trails
- Kampenwand
- Dienten am Hochkönig
- SloEnduro Groznjan
- Bikepark Geißkopf
- ein paar #Partylaps am Schöckl
- viele Schleifen auf den Kremstal Trails
- etliche Runden am Plabutsch und der Platte
Schweiz = teuer
Manche Dinge sind in unserem Hirn ziemlich einzementiert. Dass es in Schottland ständig regnet. Das es in Australien immer heiß ist. Alle Amerikaner dick sind und Sachen aus der Schweiz teuer. Das Bold kommt aus der Schweiz. Und ja, 5.337 Schweizer Franken sind auch immerhin 4.968 Euro. Dafür bekommt man allerdings ein Enduro, das potenter ist als ein Kaninchen auf Viagra und noch dazu exklusiver als ein Bugatti Veyron. Alternativ kann man um den gleichen Betrag bei anderen Marken in ein Allerwelts-Durchschnittsenduro investieren. Wie kommt man jetzt zu so einem Schweizer Hobel? Da gibt’s drei Möglichkeiten. Erstens, beim Bold Hauptquartier in Biel vorbeischauen, das Bike abholen und noch eine Einstellungsrunde mit der Crew drehen. Zweitens, das Bike in ein Bold-Partnerhotel (ebenfalls in der Schweiz) liefern lassen und sich mit dem neuen Zweirad auf Kosten von Bold eine Übernachtung inkl. Halbpension genießen. Drittens, online konfigurieren und schicken lassen.
Fazit
Ich mag Sachen gern reduziert. Manche nennen mich gar Spartaner. Ein Radl für alles zu haben passt mir deshalb ideal ins Konzept. Diesen Spagat schaffen sicher mehrere Bikes, mit dem Unplugged und seinen 164mm Federweg am Heck muss man aber genau null Abstriche machen. Dazu ist es ein wunderschönes Radl nach dem sich Leute umdrehen und das sich noch dazu unglaublich ausgewogen, sicher und poppig bewegen lässt.
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