Squamish sucks, don’t go

Matthias KoflerReise

Vor zwei Jahren überredete ich meine Eltern, mich nach Kanada auf ein Austauschjahr zu schicken. „Zum Englisch lernen und so halt.“ Vielleicht glaubten meine Eltern das wirklich, aber ich hatte eine gänzlich andere Vision. Die Liste der empfohlenen Schulen enthielt „Squamish“. Das war mein Ziel. Und mein Mountainbike musste mit!


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Als ich dann einige Tage nach meiner Ankunft meinen Drahtesel zusammenbaute und bereit war die ersten paar Trails zu bezwingen, offenbarte sich die erste Herausforderung: Squamish hat auf Trailforks 475 eingezeichnete Strecken, was Neuankömmlinge erstmal überfordert. Vor meiner ersten Fahrt habe ich mich ein bisschen wie ein Kind gefühlt, das zum ersten Mal auf den neuen Spielplatz darf. Ich bin also mehr oder weniger planlos losgefahren. Unterwegs bin ich dann bald einem einheimischen Fahrer begegnet, der mir bereitwillig einen Einstieg in die Trail-Welt gab.

Man findet sich schwer zurecht.

Mit meinem neuen persönlichen Trail-Guru stand einer erfolgreichen Ausfahrt nichts mehr im Wege. Nach den ersten paar Trails kam mir eine glasklare Realisation: Die Trails in Squamish sind die besten, die ich je gefahren bin. Hier bin ich also, zwei Wochen in einer Stadt und hab mich schon Kopf bis Fuß verliebt in diesen bislang nur aus Edits und Artikeln bekannten Ort. Wie kann es in einer so kompakten Ansiedlung (19.500 Einwohner) so viele so gute Trails geben? Was macht Kanada anders als Österreich? Kann ich nicht ein paar Jahre länger hier bleiben, Mama?

Ungute Licht-Schatten-Wechsel.

Für die Antwort auf zumindest die ersten zwei Fragen müssen wir ein paar Jährchen in die Vergangenheit reisen. Die Westküste Kanadas hat unseren Sport beeinflusst wie kein anderer Ort. Um Vancouvers North Shore gab es schon in den 1980ern Trails, die ihrer Zeit und dem Sport weit voraus waren. Jedoch waren auch dort in den ersten Jahren Mountainbiker kaum willkommen, bis dann 1997 die NSMBA (North Shore Mountain Bike Association) gegründet wurde. Diese arbeitet bis heute eng mit den Landbesitzern und der Verwaltung des öffentlichen Landes rund um Vancouver zusammen, um Trails legal zu machen. Eine enge Zusammenarbeit mit dem Staat ermöglicht die große Auswahl an Trails und ein gutes Miteinander aller Waldnutzer.

65 km weiter nördlich lockte Squamish zugleich mit noch vielversprechenderem Terrain die besten Fahrer der Region an. Squamish hatte von Anfang an Trails, bei denen die meisten Fahrer weiche Knie kriegten, die sich auf Magazinen jedoch gut machten. Obwohl Squamish anfangs größtenteils für das Klettern populär war, wurde mehr und mehr bekannt, wie viel Potential Squamish für Biker hatte. Dies, kombiniert mit der fantastischen Lage von Squamish, lockt bis heute unzählige Sportler an.

Fast keine Aussicht.

Ähnlich wie in Vancouver gibt es auch in Squamish eine Organisation für das Trail-Netzwerk: Die SORCA (Squamish Off-Road Cycling Association) baut und pflegt seit über 30 Jahren legal Trails. Dieser Verein hatte im Jahr 2023 mehr als 3.400 Mitglieder. Damit ist fast ein Siebtel von Squamish Teil dieser Organisation! Mit einer vollzeitangestellten Trail Crew und unzähligen Dig Days pro Jahr kann die SORCA die zahlreichen Trails rund um Squamish erhalten und regelmäßig neue bauen. Die Mitglieder sowie zahlreiche Sponsoren wie Fahrradgeschäfte oder sogar Restaurants finanzieren den Verein. Dies zeigt auf eine fast schon absurde Weise, wie Bike-fokussiert die ganze Stadt ist.

Die enge Zusammenarbeit zwischen den Vereinen und dem Staat macht all das möglich, wofür die North Shore und Squamish heute stehen: Biker werden in eine offene Gemeinschaft aufgenommen, kranke Lines ausprobiert und neue Trails gefeiert. Kanada zeigt zudem, dass ein freundliches Zusammenleben zwischen Bikern und Leuten, die noch nicht vom MTB-Virus angesteckt worden sind, möglich ist. Ein Phänomen, von dem ich in Österreich nur träumen kann.

Total uncoole Lehrer.

Also, zusammengefasst: Squamish ist ein unglaublicher Ort mit einer Atmosphäre wie kein anderer. Was Squamish so besonders macht, sind nicht nur die Trails, sondern eine unglaublich offene und freundliche Gemeinschaft, in der man sich sofort zuhause fühlt. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es wahrscheinlicher ist, einen Bären zu treffen als eine unfreundliche Begegnung mit anderen Trail-Nutzern zu erleben.

Es ist aber auch in Squamish nicht alles perfekt. Hier die Nachteile. Nicht jeder ist ein Fan der tierischen Vielfalt Kanadas. Bären sind auf jeden Fall nicht aller liebster Trail-Buddy. Abgesehen von den besten Trails der Welt und einer bombastischen Community gibt es in Squamish nicht allzu viel Aufregendes. Heißt: Wer lieber ins Kino geht als auf den Ride seines Lebens, ist in Squamish falsch aufgehoben. Es gibt so viele Trails, dass man sich nicht für einen entscheiden kann. Die Leute sind so nett und redselig, dass man nicht weiterkommt. Und beim Uphill muss man auf den Luxus von einem Lift verzichten und sich stattdessen in einen stickigen Shuttlebus zwängen. In diesem Sinne: „Squamish sucks, don’t go“.

Und ein stickiger, enger Bus statt einem Lift.
Mama, es ist hier kaum auszuhalten.
Über den Author

Matthias Kofler

Erst seit ein paar Jahren auf dem Bike unterwegs aber inzwischen auch bei dem ein oder anderen Rennen zu finden. Ob daheim oder im Ausland, bei ihm heißt es immer höher, schneller, weiter, und dabei immer eine Hammerzeit genießen.

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