Corona-Roadtrip 2020

Nikolas JellinekReise

Corona Roadtrip Nikolas Jellinek

#1 | Verboten oder erlaubt, aber wohin?

Im Wald sprießt längst der Bärlauch & die Singvögel streiten sich um die erste Reihe für das morgendliche Frühkonzert.  In anderen Worten: “ Zeit wird’s!“ Also sich den einen oder anderen Gedanken über seinen Sommer/ Herbsturlaub zu machen.  Corona, Lockdowns hin oder her, die Ausgangslage ist ähnlich wie vor 12 Monaten. Es ist eigentlich wurscht, der Planet dreht sich weiter / das Rad auch.

So auch letztes Jahr: „Wird es der Jahrhundert Sommer 2020?“ wieder Rekordtemperaturen und verrückte Wetterkapriolen sind vorhergesagt.  Bei jeder Gelegenheit und Afterworkrunde auf den Hometrails wird darüber geredet & diskutiert.  Meine Laden und Lesezeichen-Ordner sind überfüllt mit möglichen Destinationen. Doch wohin soll’s verdammt nochmal gehen?

Endlich mal ein Jahr ohne nennenswerter Rennteilnahme, das vereinfacht die Planung natürlich ungemein. Doch wann starten wir?! Kommt uns wieder ein Lockdown dazwischen? Schaffen wir es überhaupt über die Staats-Grenze? Wir wussten damals genauso viel wie heute. Es wurde schlichtweg gepokert und wir haben gesetzt, All In. Der Urlaub in der Firma wurde 5 Tage vorher angemeldet & freigegeben. (Besten Dank nochmal dafür!) Gestartet wurde trotz schlechter Wettervorhersage im gesamten Bereich der Alpen. Mein Koordinator und Reisepartner Olli, hatte die Schubladen voll mit Karten & möglichen Destinationen.

Der Beginn konnte nicht passender sein, mit Bike Buddys aus Salzburg & Graz mal kräftig poltern in den Pinzgauer Grasbergen. Das Vegas der Biker!? Drei lässige Tage in Saalbach sollen es werden. Mit Zurückhaltung und leichtem Corona Notprogramm versteht sich. Keine Stürze, denn am Montag wieder Business as usual. Also maximal Absturz & Wellness, ein moderates Ride, sleep, drink & repeat, wenn man so will. Die Ausführung wie im Film. Hagelschäden am Schienbein & im Autodach.  Kasko für Haxn gibt es sowas eigentlich schon? Wein und Bier floss um die Wette mit der Sturzflut vom Berg. Die Krönung, Schnitzeljagd im Tütü über alle Seven Summits. Viel mehr möchte ich darüber nicht verlieren…denn:

„Wos in Vegas äähm Saalbach passiert, des bleibt durtn“.

Aufgewärmt und eingegrooved ab zum nächsten Halt, Salzburg Bhf. Hinter der gelben Sicherheitslinie steht mein nächster treuer Begleiter, bepackt mit 5 Taschen und Bike. Olli der Mastermind & Kartenkönig steigt zu. Wahnwitzig und außergewöhnlich soll er werden unser Roadtrip, fast in deutscher Gründlichkeit durchgetaktet.

Aber es kommt alles ein wenig anders. Rein in die Dunkelheit untermalt von SoundCloud Mixes & tiefsinnigen Gesprächen. Begleitet von Weltuntergängen mit winterlichen Temperaturen rollen wir über die österreichische Staatsgrenze. Das Wettertief ist nicht mehr bevorstehend, es ist brandaktuell. Wir müssen also weit weg davon.

Nächster geplanter Stopp: ZERMATT

Unser Wetterfrosch (der tatsächlich Meteorologe ist) meinte, hier könnten sich die meisten Sonnenstunden ausgehen. „Mit Schnee und Unwettern müssts aber trotzdem rechnen.“ Es grenzt schon fast an Dekadenz & Wahnwitz, gerade dieses Urlaubsziel auf der Karte wenige Stunden vorher auszuwählen. Doch das Glück war auf unserer Seite, wir konnten ein Zimmer ergattern obwohl Zermatt fast immer ausgebucht ist.

Wir lassen mit fast schon überheblicher Arroganz das Kanton Graubünden und seine heiligen Täler und Gebirgszüge hinter uns. Wer diese Ecke noch nicht kennt, hat noch nicht die schönsten Ecken der alpinen Trail Landschaft gesehen. Orte wo legal Wanderer und Biker auf Wanderwegen nebeneinander koexistieren dürfen.

Es schmerzt schon ein wenig, wenn man hier einfach weiterfährt und über die bereits geschehenen Momente berichtet: Massenstart Enduros mit atemberaubender Landschaft in Lenzerheide, herbstliche Traum Trails in Davos/Klosters oder kitschige Touren in Flims Laax Falera.

Um es in Jugendsprache zu formulieren: „Alles Endstufe, Level Endboss“

Der Furka Pass im Kanton Furi begrüßt uns schon mit Schneefahrbahn und einer Sicht nicht weiter als mein Kombi lang ist. Ideal mit Sommerbereifung im August, aber wen interessiert das schon. Hättet’s halt mal halt den Zug genommen, es Wiener Pfeiffn!  Was wollten wir noch in Zermatt? Aja stimmt, Hochtouren und das schier endlose Trail Netzwerk im Park quasi als Zufahrt zur Unterkunft nutzen.  Der Wetterbericht der kommenden Tage behauptet Sonne, leichte Bewölkung und etwas frischen Wind.

Sollt also nix sein. Was kost die Welt, da fahr ma drüber über den Pass!

Unser Unterschlupf der nächsten Tage war in einem kleinen Vorort von Zermatt. Direkt am Bahnhof gelegen, letzte Möglichkeit seinen fahrbaren Untersatz in eine Garage zu verfrachten. Zermatt ist nämlich verkehrsfrei. Lediglich einzelne Elektromobile sind hier für den Grundbedarf im Einsatz. Sounds like heaven!

Gemütlich wollt’mas angehen hamma gsagt. Akklimatisierung und an die Höhenluft gewöhnen soll ma uns, ham’s gsagt. Doch das Verlangen und die Lust vernebelt den Verstand.

Der erste Tag gleicht einer Reizüberflutung – wenig Biker, nur freundliche Leute, endlose Bergkämme und Gipfel soweit das Auge reicht. Mit dem Preis des Wochentickets für Bahn und Gondel ist man zwar mal einen Kurzurlaub in Kroatien los, aber was soll’s. Cevapcici & Strand eh fein. Fondue & Trails feiner!

Ich als Stadtkind bekomm direkt eins in die Gosch’n, wie man als Wiener so schön zu sagen pflegt.  Überwältigt von der epischen Aussicht aus dem Panoramafenster der Schweizer Bahn fehlen mir sämtliche Worte. Kleiner Exkurs am Rande: Der menschliche Verstand ist ja im Stande nur eine Reihe von Bildern und Sequenzen die man in seinem Leben so erlebt hat, abzuspeichern. Quasi eine Art der Austria Top40, nur halt in GEIL. Wir befürchten schon das Schlimmste. Die kommenden Tage dürften nämlich unsere Listen massiv durcheinanderbringen, altbewährte Soulride-Momente anstandslos ersetzen, löschen und ins ewige Archiv stellen.

Zuvor schon in den öffentlichen Verkehrsmitteln wurde so manch anderer Fahrgast hellhörig bespitzelt. Einige Touristen haben trotz mehrtägigem Aufenthalt keinen Tag Belohnung in Form von Kaiserwetter oder „DEM MOTIV“ bekommen.

Keine 50min später öffnen sich Türen der letzten Gondel, knapp unter 3000m Seehöhe wird mal tief inhaliert. 1700hm Höhenunterschied zuerst mit Zug, dann mit Gondel.  Die letzten 300 Höhenmeter werden noch gekurbelt und getragen. Kaum oben angekommen, lichtet sich erstmals die dichte Wolkendecke. Kein Mensch weit und breit & wir alleine am Gipfel.

Die Aussicht ist schlichtweg malerisch, die allseits bekannte Spitze des Matterhorns ragt wie der Turm von Sauron über alle hinweg. Kaum losgefahren wird schon fotografiert was das Zeug hält, die Kontraste werden härter, die Staubwolken dichter. Der Speichel rinnt uns aus den Mundwinkeln. Oida, eh klar wie soll’s denn auch anders sein, ich mein im Touri Heftl wird ja auch damit geworben. Olli hat uns eine 4h Abfahrt zusammengestückelt. Ganz auf Old-School im C0 Format 18x gefaltet und mit Leuchtstift markiert, was für eine Eröffnung! Es staubt weiter, Corner um Corner, Felsplatten und feinstes Gestein fliegt unter mir durch wie eine Armada von fliegenden Teppichen. Bildkombinationen wie man Sie nur aus den legendärsten Bike Film-Sequenzen kennt, verschwimmen zu einer epischen Dauerwerbesendung.

Niki: Olli, eigentlich ist nur fliegen noch schö… Ein kleiner Blick nach links. OK?! NEIN, FIX NICHT!

Und das Phänomen begann zu wirken, jede Kurve das Matterhorn näher, noch imposanter. Ähnlich einem Aufbruch mehrerer Raumschiffe reißt die Wolkendecke immer weiter auf.  Teilweise auch aus nächster Nähe. Verursacht durch die warmen Aufwinde an den Flanken, rasen Wolkenteile zunehmend vertikal an einem vorbei.

Lieber doch nochmal stehen bleiben & wirken lassen. Einatmen, spüren, ausatmen & Lenker festhalten!

Natürlich will man auch jeden Moment so authentisch wie möglich festhalten, aber Bedenke zu viel von dem Geknipse kann auch das Feeling löschen.

Einige Höhenmeter weiter unten, begegnet uns ein Quartett von Straßenkehrern?! Nein! Es sind Weg Erhalter, Shaper im Auftrag der Gemeinde, wenn man so will. Ihre Zähne funkeln wie Diamanten zwischen den gegerbten dunkelbraunen Gesichtsfalten hervor. Unter Begleitung von Grüezi, Ade und Merci wird ein kurzer Smalltalk gehalten bevor wir weiterfahren. Littering ist auch leider hier ein immer ärgerlicheres Thema. Unachtsame Wanderer, welche der Meinung sind „holt sich die Alpendohle“ oder „wird schon verrotten“.  Im Gegenteil, auf blankem Stein passiert rein gar nichts damit. Mit Jubel und Gelächter werden wir verabschiedet.

Und überhaupt warum wir hier seelenallein am Gipfel? Wenn man doch unten mit der Gondel fahren kann? Weil wir es wollen, weil wir es können & auch dürfen. So auch hier die Regelung im Kanton Wallis. Sharing is caring.

Die kommenden Tage haben sich ähnlich gestaltet, das halbe Tal wurde auf den Kopf gestellt, Gletscherbahnen und Gondeln wurden bis zur letzten Minute ausgenutzt und dienten als Sprungbrett für höhere Lagen & Wege. Sei es früh am Morgen direkt am Fuße des Matterhorns oder als finalen Sundowner am Gornergrat.  Hinter jeder Flanke bot sich ein neuerliches Feuerwerk aus weiteren Traum-Trails und mit 1a-Aussicht.

Ich könnte hier nun noch Sätze schreiben wie: Jeder Meter ein Gedicht oder Trail Kombinationen wie ein feines 6 Gänge Dinner in einem Michelin-Sterne-Restaurant. Ja und es wäre immer noch schlichtweg untertrieben.

Doch je tiefer der Sonnenstand, desto klarer die Kontraste & dramatischer jede Bergflanke. Der Licht- und Schattenwechsel gleicht permanent einem kitschigen Trance Video in SloMo aus den 90er und 00er Jahren.

Kurioses Detail am Rande: Wie Libellen begleiten dich ganztags Helikopter im Tiefflug, die Versorgung in Zermatt und Erhaltung der Infrastruktur wird hier überwiegend aus der Luft übernommen. Es ist schlichtweg am effizientesten.

Jeder Abend endete mit bitterkaltem Dosenbier, Tan Lines unter mm dicker Staubkruste am Shin Gate. Du bist hier in einem hochalpinen Gelände, über 1500m Seehöhe. Kaum ist die Sonne weg wird’s hier mal zapfig. Die Luft ist trocken, der Staub sitzt in der Lunge & die geladene Sonne glüht unter deiner Haut nach. Selbst wenn deine Tour bis zur letzten Minute Tageslicht andauert… ist dein Blechweckerl am Hotelbalkon um 21Uhr schon längst auf Ideal-Temperatur. Es gibt keinen besseren Aperitif vor der Dusche, deiner After Sun & dem alles und vernichtendem Fondue.

Danach keine Zeit für Social Media, lieber Wein & Fondue genießen. Oftmals geht es vor 23°° in die Horizontale. Man hat ja bekanntlich nix zu verschenken. Man muss schon erwähnen, es soll ja ein Urlaub sein, entspannt, kein Stress oder eine Tortur. Trotzdem fängt der frühe Vogel den Wurm, ergo mehr Zeit zum Verplempern auf 2500 über Null.

In den abschließenden Tagen begegnen uns immer mehr Top Boliden & immer mehr Enduristi. Aber warum nur? Angekommen im Urlaubsdrive haben wir es glatt verpennt, dass auch die EWS hier halt macht. Lustige Smalltalks mit bekannten Gesichtern wie den Gehrig Zwillingen oder div. britischen Bois wie Joe Barnes verkürzen die Gondelfahrten.

Caro G.: “ Schon geil hier odr? In Zermatt kannst du die längsten Bike Tage genießen, um 0700 Heli-Flug am ersten Gipfel & um 1900 die letzte Fahrt mit der Gorner rauf am Grat.“

Tag 5 und es wirkt noch immer so surreal, diese Mischung aus Mittelerde & Schokoladenwerbung. Ewig grüßt das Matterhorn, wo man sich als Biker klein fühlt wie ein Hobbit in Mittelerde.

Für die kommenden Tage ist massiv schlechteres Wetter angesagt, die EWS wird voraussichtlich mit einem Wintereinbruch mitten im Sommer zu kämpfen haben. Sämtliche Wetterportale prophezeien 4-7cm Schnee und das für mindestens 5Tage. Wir haben beschlossen aus unsere geplante Roadtriproute welche weiter durch das Wallis & Graubünden geführt hätte etwas südlicher zu verlagern. Olli tappt im Dunkeln und lässt mich meines Amtes walten. Diesmal ohne Pläne, ohne Touren, einfach drauf los. Schnell nochmal diverse Unterkünfte durchtelefonieren und Abendessen fassen. Die Region war zwar auf Ollis Radarschirm bekannt, aber weit davon entfernt bereist zu werden.

To be continued.

Und weils so schön ist eine letzte Galerie als Zuckerguss.

Über den Author

Nikolas Jellinek

Feinspitz, Velosoph, Hobbyracer. Sitzt nur im Sattel wenn die Route an einem Wirtshaus oder einer Berghütte vorbeiführt. Redet & fährt schneller als ihm selbst lieb ist.

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