Man braucht keine Axt um ein Butterbrot zu schmieren

Michael BrulzMaterial

Fotos: Klemens König

Das brandneue 2023 Marin Rift Zone E2 – gefahren von niemand geringerem als „Lemur Mike“ höchstpersönlich.


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Bevor wir uns dem Rad selbst widmen, muss ich euch gleich meine Sünden beichten: Ich fahre schon länger E-MTB … eh‘ baik wie man im Volksmund sagt . gefühlt ist es schon das zehnte Modell, das ich länger als nur ein Tag gefahren bin und ich möchte „dem Bike mit Motor“ bzw euch LINES LeserInnen, ein paar Gedanken widmen.

Ist E-MTB nun cool? Oder sollen wir es weiterhin dissen? Verweigern oder Hypen?

Für mich hat alles 2017 bei irgendeinem Testevent angefangen. Davor war ich stark der Meinung, dass E-Bikes nur dafür da sind auch die Dicken auf den Berg zu bringen. Nach dem ersten Ritt war ich bereits anderer Meinung: mehr Abfahrten im gleichen Zeitraum … quasi ein Privat-Shuttle! Ich war schnell zu überzeugen auch wenn damals niemand in meinem Umfeld ein E-Bike für den Sportbereich hatte. Jedenfalls hatte ich die Suppe gekostet, mich eines besseren belehren lassen und war bereit diese verhasste Gattung in meinen Fuhrpark aufzunehmen. Und so waren sie auch, die ersten Ausfahrten: alleine/einsam, mit der Strommaschine. Der Motor macht recht wenig Geräusche, alles was ich stets höre ist mein Atem, der immer lauter wird, vor allem weil ich vor lauter Geilheit auf mehr Leistung noch schneller trete um dem Motor wirklich alle seine Watt zu entlocken.

Die ersten E-Bike Runden waren einsam. Seitdem hat sich ein bisserl was geändert.

Weltentrennung

Recht schnell wird einem klar, dass es besser ist die Gattungen „mit“ bzw. „ohne Motor“ getrennt zu halten. Fast wie bei dem sinnvollen Phänomen den „Wanderweg“ vom „Biketrail“ zu trennen, ist es fürs Gemüt aller besser die E-Bike-Ausfahrten entweder sortenrein oder – wenn niemand zur Hand ist – alleine zu bestreiten. Warum, fragst du dich? Ich versuche es auf einen Punkt zu reduzieren: größter Unterschied ist die Bergauf-Überlegenheit durch die Motorunterstützung. Es fühlt sich eben an als ob Christoph Strasser stets zu Diensten steht und mit einem mittritt. Man sucht sich ziemlich schnell Steigungen aus, an die man sonst niemals denken würde. Bösartige Rampen, Abkürzungen und Abzweiger nach oben.

Je zacher desto besser.

Ja und da ist sie schon, die Sünde Nr.2: Ich bin schon Trails bergauf gefahren. Natürlich denkt man sich: Auweh, wenn jetzt ein Biker entgegenkommt, ist man selbst der Affe, der den Trail rauf fahrt … muss das denn sein? Nein, muss nicht, aber es geht halt bergauf um einiges mehr und ob man jetzt den Wanderweg, der ohnehin nicht mit Bike befahren werden soll, runter oder rauf rockt, muss auch in den Augen der Bike-Gegner eh wurscht sein.


Rauf-Trialen

Um noch genauer auf dieses Rauf-Trialen einzugehen, möchte ich den hinkenden Vergleich zu den EUROSPORT Trialfahrern wagen. Zumindest wenn man vor einer technischen Uphillpassage herumhoppelt, die Füße von den Pedalen wegstreckt und nach Balance ringt oder wenn man ohne Bodenkontakt das Steinfeld durchquert hat, fühl ich mich annähernd wie im Fernsehen. Ein Feeling, das an meine ersten roughen Downhills erinnert – in der Zone: volle Konzentration, völlige Freiheit; nur bergauf – wie witzig!

Hallo Freiheit.

Geteilte Freude ist halt doppelte Freude und seitdem ein paar Trainingskollegen (ich kann sie auf einer Hand abzählen) zusätzlich zu ihrem regulären Rig auch ein E-Fully ihr Eigen nennen, sind es nicht mehr eine Ausfahrt E-MTB auf 20 Ausfahrten reguläres Treten, sondern schon viermal mehr elektro- unterstützte Runden als noch 2017. Die Bestätigung, dass es nicht nur mir, sondern auch den anderen taugt, habe ich mir eingeholt. Zitate wie „also wenn das jetzt nicht geil is, weiß ich auch nicht“ werden durch die Luft geschmettert. Geheime Absprachen auf WhatsApp, damit es nicht doch eine „ohne Motor“-Runde wird, hat es seither gegeben.

Genau wie beim Bergabfahren, wird man im Uphill besser und ich meine hiermit nicht mehr das bloße „durchfahren“, sondern das Meistern von Hindernissen wie Stein- & Wurzelstufen, Uphillkehren und generell technische Stellen, die ohne Schwung einfach nicht möglich sind. Genau wie bergab muss man bergauf Körperspannung, Balance, Hand-Hirn-Koordination und ein Selbstvertrauen an den Tag legen – sonst findet man sich schnell in einer Fail-Compilation wieder; spätestens wenn sich das 24-Kilo-Rad mit einem selbst aufbäumt und du dir vorkommst wie ein lebensmüder Typ beim Impossible Hillclimb (googled das mal!).

Kommen wir zu den Nachteilen: Ja, es ist schwerer, aber immer noch nicht so schwer wie eine Motorcross-Maschine – diese haben ca. 90 Kilogramm und lassen sich zumindest bei Red Bull Romaniacs oder Hairscramble bis in den letzten Winkel des Berges bewegen. So gesehen ist jedes E-MTB ein Mini-Moperl und weitaus leichter zu handhaben als so ein sperriger Feueresel. Immernoch nicht überzeugt? Hah, dann heb einmal eine MX-Maschine auf und dann ein E-Bike. Bitte danke! Ein bissl früher bremsen als „mit-ohne-Motor“ muss man allerdings schon. Des Gwicht zaht di‘ bergoh‘!

Trial-Spielereien.

Zum Riftzone

Nachdem alles Grundsätzliche gesagt wurde, kommen wir zum Rift Zone. Als Erstes braucht es noch die Weißheit schlechthin: Das Marin ist weit weg von einem Bauern-E-Bike … ja was ist ein Bauern-E-Bike überhaupt? Das ist die Gattung E-Bike, die man am Donau- und Murradwanderweg zu sehen bekommt. Meist mit montiertem Spiegel, Hörnchen, Navi, Körbchentaschen und Puntigamer-Trikot (*Biermarkenname kann beliebig ausgetauscht werden). Da wo man diese Bikes anfindet, kommt auch der Grant‘ auf die E-Biker her und die Schlagzeilen „Schon wieder ist ein Pensionst mit E-Bike schwer gestürzt“. Davon möchte ich das Rift Zone klar distanzieren; man wird das Rad dort nicht finden – es wäre so als würde man sich mit der Mercedes G-Klasse in den Stau bei der Shopping Mall stellen (wie tapered von Pipi Puffy und Haris Pilton). Themenverfehlung hat das bei meiner gemeinen Deutschlehrerin geheißen.

Schaut vernünftig aus, dieses Marin Rift Zone E2.

Damit man das Rift Zone richtig einschätzen kann, sollte man erstmals seinen großen Bruder, das Marin Alpine Trial E2, das mit 160mm Coil, 63° Lenkwinkel, 435mm Kettenstrebe und Mullet ab Werk kommt, erwähnen. Wir haben bei uns im Lemur Bike Shop Graz eben genau dieses bergab-orientierte Alpine Trail als Testbike. A‘ oarge Hittn fällt mir da ohne viel Nachzudenken ein: recht viel extremer geht’s grad nicht. Ein Freeride Shuttle, das fast satter auf den Wurzeln liegt als mein reguläres Enduro und ich liebe es.


Um die Spur vernünftiger

Das Rift Zone kommt statt mit Fox 38 mit Fox 36 (immer noch männlich – harr harr harr) und 140mm an Front und Heck daher und ist somit eher das erwachsenere bzw ausgeglichenere Bike: 440mm Kettenstrebe, 65° Lenkwinkel und full 29er lassen es gefühlt 15% schneller bergauf als bergab sein. Ganz interessant also, wenn man an meine Ode ans Uphillfahren von vorhin denkt. Den Antrieb, die Anbauteile und den Preis von 6.899 Euro teilen sich die zwei Topmodelle brüderlich. Eigentlich schon fein, wenn man nicht 10.000 Euro fürs Fox Performance Elite Fahrwerk plus Shimano XT ausgeben muss, denk ich mir. Marin hat da mit seinem eigenen Werk in Indonesien, wo sie auch für andere große Radhersteller produzieren, klar den Preisvorteil. Gespart wurde hier nicht: die teure Maxxis EXO+ Karkasse, Shimano 4-Kolben Bremse und ein wunderschöner, gefräster 35mm Vorbau sind ab Werk verbaut. Die genaue Ausstattung findet ihr unter auf der Marin Webseite.

Geht ab wie ein Mini-Moperl.

Kommen wir jetzt auf die Bergab-Performance zurück: Steil, steiler, in the Zone … Es gibt meiner Meinung keinen Trail, den man mit dem Rift Zone meiden muss. Die leichten Stellen werden links liegen gelassen und bei den schweren Abschnitten kann man es voll laufen lassen. Die Hinterbaukinematik ist von Matt Cipes, Marins Senior Product Manager, verfeinert worden. Salopp gesagt kommt Matt alias Cipey aus der Fahrwerksentwicklung und hat mit seiner jahrelangen Erfahrung eine Punktlandung in Sachen Spritzigkeit, Antriebsneutralität und Bike-Feedback erschaffen. Die 140mm haben zwar durch das Mehrgewicht einiges zu tun, allerdings fühlt sich der Hinterbau nach weitaus mehr an als angegeben. Die Progression rampt ganz deutlich oben raus und man ist stets weit weg vom Durchschlagen. Cipey sagt „Welcome to the Rifty Zone“ und ich bestätige mehrmals in dieser Zone unterwegs gewesen zu sein. Das Rad war mehrmals ein Teil von mir: Ich habe nicht nachdenken müssen wo und wie fest ich anbremsen muss oder ob ich diese oder jene Wurzel abziehen soll. Es fügt sich alles wunderbar ineinander: Rad und Biker – vereint wie Bambi und seine Mutter (ich rede von der Zeit, bevor das Reh vom Jäger erschossen wurde – danke für nichts, jetzt wissen wir wieder wo unsere Kindheitsängste herkommen). Marins Slogan „Made for Fun“ ist nicht irgendein daher geblabbertes Marketinggesülze – es ist zu 100% wahr und man spürt den Unterschied zur Konkurrenz deutlich. Willst du der Schnellste am Rad sein oder willst du am meisten Spaß am Rad haben? Frage dich das mal! Ich sage euch: Kostet die Suppe bevor ihr euer Urteil fällt!

Die leichten Passagen kann man getrost links (oder rechts) liegen lassen.

Der große Bruder

Wer noch mehr bums will, also max Bergab-Performance sollte sich das Alpine Trail E2 anschauen. Wer das Gleichgewicht zwischen Up & Down sucht, wird vom Rift Zone stärker begeistert sein. Obacht, man braucht hier nicht immer MEHR. Ja, das Sprichwort „weniger ist mehr“ hinkt oft sehr stark. Kann es sein, dass man am Ende des Tages dann statt mit dem Buttermesser, mit einer Axt, sein Brot schmiert? Die Antwort lautet: Ja, wenn die Gesellschaft weiterhin glaubt, dass es sich bei „mehr“ immer wie bei Pommes verhält: mehr ist besser.

Wenn ich eines gelernt habe, dann das es Balance braucht – genau wie bei der kritischen Masse des Universums, beim Yin Yang oder beim korrekten Alkoholkonsum gibt es genau ein Fenster in dem alles im Gleichgewicht ist. Die E-MTBs bouncen seit einigen Jahren in den Köpfen der Biker herum. Es wird, für viele auch nie das normale Rad ablösen. So langsam kann man nicht mehr sagen „Ebiken ist das Beste“ oder „ohne Motor ist das einzig Wahre“ oder „nur noch mit Strom“. Es braucht immer das richtige Werkzeug für den Job und wenn es ein E-Bike sein soll, mit dem bergauf und bergab – wie beim Skitouren gehen – gearbeitet werden soll, dann bitte nehmts einfach das Marin Rift Zone E2.

Ein Mann, der weiß wovon er schreibt: Lemur Mike.

Marin Rift Zone E2 MJ 2023

Preis€ 6.899,-
Federweg140mm vorne & hinten
Laufräder29 Zoll
RahmenmaterialAlu
Gewicht
Garantie5 Jahre (Rahmen)
Gleiche Liga:Giant Trance X E+, Mondraker Dusk, Norco Fluid VLT, Rocky Mountain Instinct Powerplay, Scott Strike eRide

Über den Author

Michael Brulz

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