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Christoph Berger-SchauerMaterial

Fotos: Christoph Berger-Schauer

Wir haben ein Liteville 303 in die Hände bekommen und werden’s die nächste Zeit intensiv fahren. Hier ist der erste Eindruck.


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Wer bin ich?

Das Liteville 303 Mk1 ist die Weiterentwicklung vom Klassiker 301, mit ein paar Genen vom legendären 601.


Im Stand

14 Jahre lang wurde das 301 gebaut. 15 Modellversionen gab’s davon. 2023 war Schluss. Dann kam das 303. Das sind ziemlich große Fußstapfen, in die dieses Fahrrad tritt. Besonders von Fahrer*innen technischer Trails wurde das schlichte Konzept verehrt und bei Bikebergsteigern das Rad aus Bayern quasi zum Rosenkranz dieser Religion hochstilisiert.

Man kann ein 303 am ersten Blick vom 301 unterscheiden – und doch ist es unverkennbar ein Liteville. Markantester Unterschied zum Vorgänger mit der niedrigeren Nummer ist der ausgeprägte Knick, den das Oberrohr hinlegt. Das ist nicht nur optisch die größte Veränderung, sondern auch funktionell gesehen. Die Verformung des Oberrohrs war notwendig, weil man beim 301 mit dem Hinterbaudesign nach 15 Iterationen anstand – und zwar räumlich.

Der Knick erlaubt eine verbesserte Hinterbaukinematik, die im Rahmendreieck des 301 nicht Platz gefunden hätte. Damit sind die 160mm Federweg am Heck harmonischer zu integrieren, das 303 soll weniger durch den Federweg rauschen, womit es sich leichte Anleihen am 601 nimmt.

Weitaus weniger augenscheinlich ist die zweite Neuerung: die Vorbereitung für K.I.S. Die Abkürzung steht für „keep it stable“ und beschreibt ein Lenkassistenzsystem von Syntace, das den Lenker, wenn frei gelassen, gerade stellt. Aktuell gibt’s das K.I.S. nur im 301CL Mk1 und dem 301CE Mk2 als integrierte Version. Die externe Nachrüstoption soll aber bald folgen und genau dafür ist das 303 Mk1 bereits vorbereitet – inkl. Lenkeranschlag am Unterrohr, der das K.I.S. vor Überstrapazierung schützen soll.

Ansonsten kann man sagen – und das in sehr positivem Sinne – ist beim 303 das meiste beim alten geblieben. Kompromisslos auf Funktion ausgelegter Alu-Rahmen, ohne großem Schnickschnack. Überlegte, technische Lösungen wie die Eightpins Sattelstütze, die Syntace Laufräder mit breiten Felgen und MicroAdjust-Kappen (die einem das Laufrad spiel- und verspannungsfrei fixieren), bis hin zum g’scheit integrierten Werkzeug in der Hinterachse, mit dem quasi alle Schrauben am Fahrrad angezogen werden können. Das schmale Produktportfolio der Tachertinger erlaubt mehr Liebe zum Detail und die mertk man.

Das Liteville 303 Mk1 gibt’s in drei Versionen: Limited, Race und Elite. Wir haben das Race in die Hände bekommen. Das einzige 303er mit RockShox Fahrwerk. Die Limited Version ist die obere Grenze der Fahnenstange mit Fox Factory Elementen, der elektronische Eagle AXS und Magura Bremsen. In der Elite-Version gibt’s Fox Float/Performance und Shimano XT Antrieb und Bremsen. Elite und Race setzen auf 170mm Federweg vorne, Limited auf 160mm. Hinten gibt’s bei allen 160mm Bewegungsspielraum.


In Bewegung

Wertig. Das ist der erste Eindruck, den das Liteville 303 Mk1 vermittelt. Alles läuft extrem geschmeidig, leise und mit der Feinheit, als hätte man soeben eine penibelst abgeschmierte Maschine bekommen. Die Eightpins Sattelstütze fühlt sich ab Betätigung 1 allen anderen Teleskopstützen überlegen. Sie wirkt robust, lässt sich leichtgänigst bewegen und rastet hörbar und vertrauenserweckend ein.

Mit 14,3 kg Werksangabe (in Medium, ohne Pedale) ist es relativ leicht (für heutige Standards) – und das merkt man. Neben „wertig“ beschreibt „kompakt“ das Fahrgefühl. Den Trend „länger & tiefer“ spürt man am Liteville wenig. Vielmehr hat man das Gefühl, das Radl recht sicher in der Hand zu haben. Das ist ein erster Eindruck. Viele Ausfahrten am 303 werden mehr Aufschluss bringen.


Preis & Leistung

Oft als Zahnarzt-Räder bezeichnet, wird dieses Vorurteil beim Thema Preis-Leistung schwer unter Beschuss genommen. Mit € 4.999,- gelingt der Einstieg ins Liteville 303-Portfolio. Die Race-Version kostet € 6.499,- und bei € 6.999,- (Limited) ist nach oben hin Schluss. Zahnärzte müssen sich wohl bei Mitbewerbern umsehen, wo Highend-Modelle manchmal für das Doppelte angepriesen werden.

In LINES Issue #28 haben wir ein Ranking der teuersten (E-)Mountainbikes am Markt in einer Infografik dargestellt.


Geometrie

Das Liteville 303 kann als komplettes 29er oder als Mullet gefahren werden. Wobei für die Rahmengröße Small das Full-29er wegfällt und für XXL das Mullet. Wir fahren’s in Medium und in Mullet bei 174cm Körpergröße, was ziemlich genau den Empfehlungen von Liteville entspricht (Medium bei 168 – 178cm Größe).

Die Zahlen aus der Geometrie-Tabelle bestätigen den ersten Eindruck nur bedingt. Das Litevielle 303 ist kein kurzes Radl. Der Radstand ist beispielsweise einen Zentimeter länger als bei einem Specialized Stumpjumper Evo, der Reach einen halben Zentimeter mehr. Lenk- (64,5°) und Sitzwinkel (77°) sind ident zum Bike vom großen S. Das Liteville ist aber definitiv das höhere Radl mit einem Stack von 638mm vs. 626mm beim Stumpjumper Evo. Gleiche Tendenz bei der Tretlagerhöhe. Hinten ist es kurz. Die Kettenstrebe ist 429mm lang.


Wer will mich?

Leute, die ein technisch pipifeines Radl haben wollen, denen funktionelle Lösungen wichtiger als Optik und (Zahnarzt-)Image sind.


Liteville 303 Mk1 (2024)

Preisvon € 4.999,- bis € 6.999,-
Federweg160/170mm vorne & 160mm hinten
Laufräder29 Zoll komplett oder Mullet
RahmenmaterialAlu
Gewichtab 14,1 kg (Limited, Medium, ohne Pedale)
Garantie5 + 5 Jahre (Rahmen und -teile) = in den ersten 5 Jahre kostenlos, danach 50% Crash Replacement
Gleiche Liga:Last Coal V3, Propain Tyee 6 AL

Über den Author

Christoph Berger-Schauer

Dicke Schlappen, schmale Reifen, bergauf, bergab – ist für alles zu begeistern, nur flach darf es nicht sein. Unbekehrbarer Fahrrad-Afficionado, seit einiger Zeit vom Enduro-Virus befallen. Schreibt nieder, was andere nicht in Worte fassen können.

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