Der Fullface im Visier

Thomas MayrLesestoff

Der Fullface im Visier

Foto (c) Gioele Fazzeri

Seit mittlerweile knapp einem Jahr sind wir fast täglich mit Schauermeldungen aus den Medien konfrontiert. Besonders in der Corona-Anfangszeit wurden Ängste geschürt, Lebensmittel wurden gebunkert, Amerikaner tranken Bleiche und dennoch haben wir uns an diese außergewöhnliche Situation angepasst und machen das Beste daraus. Leute gingen für gefährdete Mitmenschen einkaufen, die Maßnahmen der Regierung wurden zum Großteil befolgt, die Natur konnte durchatmen, mehr Menschen fanden zum Radsport als je zuvor und selbst unsere dauerstreitenden Politiker zogen – wenn auch nur kurz – an einem Strang.

Ich frage mich allerdings: Wo ist diese Solidarität und der Zusammenhalt in der Radszene abgeblieben?

Wir alle kennen die hitzigen Diskussionen in diversen Foren oder in sozialen Medien. Es scheint aber mittlerweile so, als würden sich scheinbar „Gleichgesinnte“ immer stärker gegenseitig bekriegen, die alte Garde gegen die jungen Wilden, Hardcore-Biker gegen Wochenend-Hobbyisten und natürlich alle gegen E-Biker. Besonders in sozialen Medien, wo jeder frei und nach Wunsch auch anonym seine Meinung verkünden kann, eskaliert die Situation fast wöchentlich. Junge Burschen fragen nach Shape-Kollegen und werden angeschnautzt, offizielle Wegsperren werden niedergetreten, Feindbilder des downhillfahrenden Fullface-Fahrers werden geschürt. 

Besonders der letzte Punkt, das Schüren von Feindbildern innerhalb der Szene, ist mir unverständlich. Es wird nach einem Sündenbock gesucht, wie zum Beispiel dem bösen Fullface-Enduristen. Ein solches Feindbild verleitet schnell dazu, mit dem Finger auf jemanden zu zeigen und zu sagen: „Ihr seid schuld an unserem schlechten Image!“

Klar, die Fahrräder werden immer besser, die Ausstattung ist auf einem hohen Niveau, die Schutzausrüstung wird immer leichter und komfortabler, wodurch immer mehr Mountainbiker zum Fullface-Helm oder vergleichbaren Convertibles (Fullface mit abnehmbarem Kinnbügel) greifen. Es leuchtet auch ein, dass ein Fullface auf den ersten Blick aggressiver aussieht als die altbekannte, meist schief sitzende Halbschale. Dennoch entscheidet, zum Trotz dieser Fingerzeiger, nicht der Fullface, sondern der Fahrer über unser Image. Ich bin sicher, wir alle kennen die grundlegenden Verhaltensregeln unseres Sports. Diese Basis aus Freundlichkeit, Respekt und Toleranz am Trail allen gegenüber entscheidet auf lange Sicht, wie wir von der Bevölkerung wahrgenommen werden. 

Wahrscheinlich haben wir uns alle schon bei unüberlegten Handlungen am Trail ertappt, dieser Artikel soll deshalb keine weitere Rüge sein, sondern ein Aufruf an alle Biker, ungeachtet ihres Alters, ihrer Ausrüstung oder ihrer Motorisierung an einem Strang zu ziehen. Vielleicht können wir damit gestärkt und als eine geschlossene Community aus dieser Krise treten.

Über den Author

Thomas Mayr

Baujahr 1993, aus Enns. Keine DH-Siege, keine Enduro-Siege, keine Meisterschaftssiege, keine Pumptrack-Siege, aber dafür dreimal im Krankenhaus.

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