JA! Aber.

Clemens HörlMaterial

Simplon Rapcon :ePinion Clemens Hörl

Fotos: Tihomir Vorkapic

Unser aller liebster Trailpartie-Rennleiter höchstpersönlich hat das Simplon Rapcon :ePinion Probe gefahren und seine Erfahrungen mit dem Getriebe-E-Bike in Worte gefasst.


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1950.
Ein junger Mann namens John Finley Scott bastelt bei Bier und Kerzenschein in seiner Garage an seinem Schwinn-Cruiser und stellt damit, ohne es zu ahnen, die Weichen für eine völlig neue Sportart, welche für viele von uns der Mittelpunkt unseres Daseins wurde. Danke Johnny!

In den 70ern bauten Ikonen wie Gary Fischer, Charlie Kelly und Tom Ritchey die ersten wirklich geländegängigen Bikes aus Teilen von klassischen Fahrrädern, Motorrädern sowie selbst geschweißten Rahmen zusammen und gründeten die erste Mountanbike-Firma namens „Mountainbike“.

In den letzen 50 Jahren hat sich der Sport sowie das Sportgerät massiv weiterentwickelt. Geometrie, Bremsen, Reifen, Fahrwerk. Der letzte wirkliche Gamechanger des Mountainbikes war sicherlich die Dropper Post.

Der Antrieb sowie die Gangwahl mittels Kette und exponiertem Schaltwerk blieben im Prinzip jedoch gleich. Evolutionen ja, eine nachhaltige Revolution vergleichbar mit dem Sprung von Cantilever-Bremsen auf hydraulische Scheibenbremsen blieb bis dato jedoch aus.

Die Besonderheit des Rapcon :ePinion? Es glänzt durch Abwesenheit eben dieses alteingesessen Antriebskonzeptes. In meinen Augen ein logischer Schritt der längst überfällig war.


Das Bike | All in.

Beim Simplon Rapcon :ePinion sprechen wir im klassischen Sinne von einem Full-Power E-Mountainbike mit Fokus auf Ballern. Eines vorweg: Dieser Punkt im Lastenheft wurde bravourös erfüllt.

Oh ja, ihr wollt jetzt Fakten:

  • massiver, hochwertig verarbeiteter Carbon-Rahmen mit sauberen Detaillösungen
  • Federweg 160mm hinten/160-170mm vorne (170mm getestet)
  • knapp 25 Kilogramm Gesamtgewicht (betankt)
  • 85 Nm Drehmoment und 600 Watt Maximalleistung
  • 720/800/1060 Wh Akkukapazität (getestet wurde die kleine 720-Wh-Version)
Simplon Rapcon :ePinion Clemens Hörl
Von diesem Bike ist in diesem Artikel die Rede.

Simplon bietet verschiedene Ausstattungslinien und weitere Anpassungen dieser an. Bremsen, Vorbaulänge, Laufräder, Kurbellänge, … Es kann eigentlich alles ausgewählt und angepasst werden.

Das getestete Bike entspricht der Ausstattungsvariante Expert und kommt auf stabilen DT Swiss H1900 Laufrädern und pannensicheren Schwalbe Super Gravity Reifen dahergerollt. Danke, genau so! Die schwersten Reifen des Schwalbe-Line-ups haben zwar nicht gereicht um das Bike ohne spontanen Luftverlust durch den Test zu bewegen, aber das nehme ich auf meine Kappe. Selbst den stärksten Reifen geht bei meiner Nasser-Sack-Fahrtechnik mal die Luft aus (zwinker).

Das Fahrwerk kommt von RockShox, vorne eine massive ZEB Select+ mit Charger 3 Kartusche und hinten ein Super Deluxe Select+ Dämpfer. Zugegeben war das meine erste Langzeiterfahrung mit der ZEB. Eine verdammt gute Erfahrung! Tolle Gabel, super einzustellen, sowohl federseitig als auch dämpferseitig top. In einem abfahrtslastigen Full-Power E-Bike fällt die höhere Steifigkeit positiv auf und gibt einem noch mehr das Gefühl der Unverwundbarkeit (dazu später mehr).

Simplon Rapcon :ePinion Clemens Hörl
Bike & Ausstattung liefern Confidence für solche Manöver.

Verzögert wird stilgerecht mit Shimano M8120 4-Kolben Bremsen und ordentlich großen Bremsscheiben. Auch hier ein klares danke, ja! Bremsgefühl und Leistung sind hervorragend. Die Hebelergonomie passt. Aber Moment, da war ja noch was: die Gerüchte betreffend wanderndem Druckpunkt sind leider wahr. Ein guter Entlüftungsvorgang macht es deutlich besser, weg ging es aber nie ganz. Als ein Liebhaber der italienischen Formula Curas bin ich das Phänomen gewohnt. Could be worse. Ich persönlich würde die japanische Bremse trotzdem klar der alternativ von Simplon angebotenen Magura MT5 vorziehen.

Die Dropper Post kommt von BikeYoke und ja, die Qualität spürt man. Gepaart mit einem richtig bequemen Sattel von Selle Italia hat man richtig Bock den Akku bei ausgedehnten Touren leer zu fahren… und vielleicht noch weiter.

Vorbau und Lenker kommen von Simplons Eigenmarke und überzeugen durch Unauffälligkeit. Der Lenker am Testbike ist mit 760mm Länge für meinen Geschmack etwas kuschelig ausgefallen, ab Werk ist ein 800mm langer Carbonlenker montiert. Top Ergon-Griffe runden das Cockpit mit hochwertigen Kontaktpunkten ab.

Zwischenfazit Ausstattung: ja, danke! Alles richtig gemacht.


Das Antriebskonzept | Now we’re talking business.

So weit so gut, aber jetzt wird es spannend. Denn beim Antriebskonzept sticht das Rapcon :ePinion klar aus der Masse hervor.

Pinion.
MGU.
Beltdrive.

Wie bereits anfangs erwähnt fällt das Schaltwerk in der Ausstattungsliste durch Abwesenheit auf.
Simplon verbaut statt dessen eine Pinion MGU E1.12.

Simplon Rapcon :ePinion Clemens Hörl
Der Talk-of-Town: die Motor-Getriebe-Einheit.

Auf Deutsch: Eine Motor-Getriebe-Einheit mit 12 elektronisch geschalteten Gängen welche mittels einem Riemenantrieb das Hinterrad antreiben. Kein aussenliegendes Schaltwerk das bei Feindkontakt (= Stein, Baum, Bambi) verbiegt. Keine Kassette und Kette, die bei unzureichender Wartung viel zu schnell verschleissen. Das Antriebskonzept soll besonders wartungsarm sein. Alle 10.000 Kilometer soll ein Ölwechsel im Getriebe notwendig sein. Das wären 192 km jede Woche für ein Jahr. Oder 64k m jede Woche für 3 Jahre. Oder… oh forget it.

Ein moderner, konventioneller 12-fach Antrieb mit Schaltwerk, Kette und Kassette kann bei guter Pflege, moderater Belastung, sauberem Schalten und keinen unvorhergesehenen Beschädigungen auf einem Full-Power E-Bike gut 2.000 km halten bis die ersten Verschleißteile gewechselt werden müssen. Bei härterer Gangart bergab werden jedoch Kette und Schaltwerk extrem belastet, die Haltbarkeit reduziert sich dadurch deutlich. Weiters ist das Schaltwerk klar die Achillesferse des Bikes. Besonders 12-fach-Ausführungen stehen durch die große Übersetzung weit vom kompakten Hinterbau ab und sind sehr anfällig für Kontakt mit zuvor genannten Steinen, Bäumen oder anderen Hindernissen. Schaltwerke mögen das nicht besonders, das zeigen sie zumeist sehr deutlich und wollen dann durch ein neues ausgetauscht und in den Ruhestand geschickt werden.

Das Grundprinzip des Schaltwerkes wird seit Dekaden genutzt und verfeinert. Ja, es funktioniert. Sogar sehr gut. Die großen Player wie SRAM und Shimano haben bei diesen Antrieben mit Kupplungen, Steighilfen bei den Kassetten und Narrow-Wide-Ketten viele potentielle Probleme in den Griff bekommen. Weiters ist die Effizienz sehr hoch. Ein sehr kleiner Prozentsatz der eingebrachten Leistung geht durch Reibung im Antriebssystem verloren, vorausgesetzt die Wartung erfolgt regelmäßig.

JA: Endlich wurde dieser Blinddarm entfernt. Keine Sorge mehr um abgerissene Schaltaugen oder verschlissene Ketten, verstellte Schaltwerke. Die Pinion MGU liefert ab. Ohne Jammern. Ein Tippen am Schalthebel, ein Zischen wie aus einem Cyberpunk-Film, bam, nächster Gang. Bam, Bam… einfach nur weil es geil klingt nochmal schalten. I love it!

ABER: Einer der Gründe warum der Einzug des Getriebes im Mountainbike-Bereich so lange auf sich warten lies bzw. immer wieder erstarb, war die Verlustleistung.

Ein frisches Shimano- oder SRAM-Antriebssystem läuft nahezu reibungsfrei und das merkt man, wenn man vom Pinion-Getriebe wieder zurück wechselt. Das Pinion MGU wirkt technisch ausgereift, unglaublich stabil und macht Spaß. Aber es hat eher den Charakter eines Pickups mit mächtigem Turbodiesel-Motor und unzerstörbaren Blattfedern, wohingegen ein Sram X01 Eagle einem durchdachten und filigranen italienischen Sportwagen mit kurzhubigem V8 gleicht. Der Unterschied ist im Direktvergleich enorm. Mit dem Rapcon :ePinion wird man bergauf keine Beszteit erzielen WOLLEN. Gemütlich, gleichmäßig. Aber das mit Kraft. Wenn man die gesetzlich vorgeschrieben 25km/h erreicht, stoppt der Motor wie bei jedem zugelassenen E-Bike im europäischen Raum die Unterstützung. Und genau da fällt die Verlustleistung dann auch auf, man kommt mit eigener Kraft kaum schneller voran, der Limiter wirk wie ein Magnet, der dich immer wieder zurück hält. Als direkter Vergleich dient ein Specialized Turbo Levo mit Brose Motor und konventionellem Sram X01 Eagle Schaltwerk. Die Verlustleistung und der Widerstand im System sind deutlich geringer, es fühlt sich spritziger an, man ist weniger auf die Unterstützung des Motors angewiesen. Selbst mit ausgeschaltetem Motor kann man mal einige Höhenmeter zurück legen.

Simplon Rapcon :ePinion Clemens Hörl
Der Pinion-Gates-Antrieb (am Foto vorne) unterscheidet sich deutlich von bekannten Kettenantrieben (hinten).

Anmerkung 1: Testfahrt am 25. Jänner 2025 bei 4°C Außentemperatur. Der Gangwechsel des Rapcon :ePinion erfolgt elektronisch. Die Energie dafür wird aus dem Hauptakku bezogen. Wenn dieser leer ist, dann wird auch das Schalten schwer. Im Zuge einer ordentlichen Recherche hat sich der tapfere Tester natürlich in diese Extremsituation begeben, wiederholt. Es dauert lange bis der Akku wirklich, wirklich leer ist. Die Motorunterstützung wird ab 10 km Restreichweite begrenzt und laufend reduziert. Ab 1 km Restreichweite kämpft man praktisch gegen das Getriebe an und verflucht die Erfinder des Radsportes. Sporadisch kommt wieder etwas Hilfe, eher eine leichte Brise von hinten. Irgendwann, nach weiteren schmerzhaften Kilometern, schaltet sich das System endlich komplett aus. Keine Unterstützung und noch schließlich auch kein Gangwechsel mehr. Aber man kann das System mit langem Druck auf die Powertaste nochmals kurz zum Leben erwecken und ihm ein paar Schaltvorgänge entlocken. Ich habe gelitten. Für euch. Gerne.

Anmerkung 2: Testfahrt am 23. Februar 2025 bei 3°C Aussentemperatur, 61 km, knapp 2.500 hm davon 600 hm ohne Motorunterstützung. Wenn das Gelände nicht zu steil wird, dann lässt es sich tatsächlich auch ohne Motor treten. Aber das Credo lautet Momentum erhalten und die träge Masse in Bewegung halten.

Zwischenfazit Antriebskonzept: Dieselpower satt. Gewagter Zug, noch nicht ganz ausgereift, aber vielleicht gerade deshalb geil.


Troubles.

Oder auch: Der Test, der unter keinem guten Stern stand.

Erste Fahrt: Der Dämpfer verliert viel Öl, die Funktion ist dadurch stark beeinträchtig. Welch Glück, zu Hause liegt ein Cane Creek Kitsuma Coil mit richtigen Einbaumaßen. Somit wurde das Rapcon auch gleich mit Coil Dämpfer getestet. Ja, Coil steht dem Rad etwas besser als der Super Deluxe Air. Es fühlt sich alles etwas präziser und schärfer an, klar mein Favorit.

Zweite Fahrt: Der Keilriemen reisst. Viele tausend Kilometer vor seinem avisierten Pensionsantritt. Das Testrad hat gesamt 700 km am Tacho, also praktisch neu. Uns wurde seitens des Riemenherstellers Gates rasch ein Ersatzriemen geliefert. Nach einer Fehlerdiagnose auch gleich ein neuer Bashguard. Jener am Testbike wird nicht mehr verbaut, kann zu dem gerissenen Riemen geführt haben. Allgemein gehört der Riemen und der dazugehörige Kettenspanner auch sehr sorgfältig eingestellt. Das hintere Röllchen, welches den Riemen am Ritzel in Position hält, hab ich bis zum Ende des Tests nicht quietsch- und schepperfrei bekommen. Immerhin weiß man so, dass es noch da ist.

Dritte Fahrt: Snakebite am Hinterrad. Schwalbe Supergravity Reifen sind doch nicht unkaputtbar. Langer Heimweg, keine Pumpe dabei. Fazit: Schweres Rad ist auch schwer zu schieben.

Vierte Fahrt: Schleichender Luftverlust Vorderreifen. Dichtmilch hat den Reifen auf unerklärliche Weise verlassen.

Dann flutschte es langsam. Schwere Geburt kann man sagen.

Simplon Rapcon :ePinion Clemens Hörl

On the Trail | Simplon: „Hold my beer.“

Für meinen Geschmack und meine Körpergröße von 174cm fühlt sich das Bike in Größe M eher kompakt an. Hier sehe ich jedoch klar eine Differenzierung zwischen E-Bike und normalem Bike und tendiere bei Full-Power E-Bikes (die richtig schweren Dinger) zu kompakteren Größen um das Gewicht und die Trägheit zu kompensieren. Beim Rapcon ist das klar die richtige Entscheidung.

Die Sitzposition bergauf ist durch den verhältnismäßig steilen Sitzwinkel sehr angenehm, nicht zu sportlich, eher zum Cruisen. Man bekommt sehr gut und effizient Druck auf die Pedale. Die gewaltige Dieselpower lädt dazu ein auch mal den kürzesten und steilsten Weg den Berg hoch zu nehmen. Die Front lässt sich bei steilen Uphills gut belasten und neigt selbst bei stärkster Motorunterstützung nicht zum Aufsteigen.

Viel wichtiger ist uns natürlich wie sich das Rapcon bergab verhält! Balance, viel davon. Vertrauen, viel davon. Berechenbarkeit. Schnell. Agil. Satt. Unverwundbarkeit. Blöde Entscheidungen und damit glimpflich davon kommen. Es beim nächsten Run nochmal genau so machen wollen, vielleicht noch ein bisserl schneller…

Ich fand mich regelmäßig in der gleichen Situation wieder: Wie zum Teufel hab ich das jetzt gerade überlebt ohne meinem Chef erklären zu müssen, warum der Herr Architekt Hörl mit der Gipshand die nächsten Wochen leider keine Pläne zeichnen kann?

Die Ingenieure bei Simplon dürften die versteckte KI des kleinen Computerhirnes im Herzen des Rapcon :ePinion mit einem Zitat aus dem weltweit renommierten und anerkannten Auto-Magazins Top Gear gefüttert haben:

„I can turn tighter. I can turn harder. I recon I’m going to bully him into making a mistake.“

Jeremy Clarkson, Top Gear, Staffel 5, Folge 7, Mitsubishi Lancer EVO VIII FQ-400 gegen Lamborghini Murcielago
Simplon Rapcon :ePinion Clemens Hörl
Der Mimik nach zu urteilen war das eine dieser oben beschriebenen Situationen.

Die Geometrie ist für ein abfahrtsorientiertes E-Mountainbike spot on, kompensiert das hohe Gewicht sehr gut und bildet einen gelungen Spagat aus sattem Bügeleisen und verspieltem Kurvenräuber. Das Verhältnis von Lenkwinkel, Gabelvorlauf und Vorbaulänge ergeben ein großartiges Einlenkverhalten und kompensieren das hohe Gewicht zusätzlich. Es verleitet einen zu pushen und ans Limit zu gehen. Der Grenzbereich ist überraschend verzeihend für ein so massives Bike.

Simplon hat hier eine Punktlandung hingelegt. Chapeau, ich ziehe meinen Hut!

Zwischenfazit on the Trail: Draufsetzen, wohlfühlen, nach zwei Kurven schon schauen was geht… ja, danke!


Simplon Rapcon :ePinion Clemens Hörl

Fazit

Ja es hat mich unglaublich viele Nerven gekostet.
Ja die MGU ist noch nicht voll ausgereift.
Ja der Zahnriemen ist gerissen.
Aber ja, ich liebe es.
Was für ein Bike.

Über den Author

Clemens Hörl

Fährt ausschließlich Teile, die weniger als 1,5% aller Biker kennen. Perfektionist in allem was er angreift. Kann deshalb auch alles - von Kaffeemaschinen umbauen bis farbigen Zement herstellen.

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