Shimano kappt das Kabel

Christoph Berger-SchauerMaterial

Foto: Irmo Kaizer

Die neue Shimano XTR schaltet kabellos. Präzise und schnell wie eh und je ist sie außerdem robuster geworden.


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Die Shimano XTR steht fast seit Anbeginn der Mountainbike-Zeit für die Speerspitze an sinnvoller Technologie. Nur was bei der XTR zum Einsatz kommt, ist für Rennfahrer*innen gut genug. Umso neugieriger sind die Blicke, wenn eine neue Generation der Shimano XTR vorgestellt wird. So wie jetzt. Wohin geht die Reise (in weiterer Folge auch für die günstigeren Gruppen)? Was wird verbaut? Welche Technik hat sich als leicht, schnell und renntauglich erwiesen?

Im Falle der neuesten XTR, die auf den Namen Shimano XTR M9200 Di2 hört, hat sich einiges getan. Nicht verwunderlich, wenn man erfährt, dass an ihr sieben Jahre getüftelt wurde. Die bewegendste Neuheit ist mit Sicherheit: Sie ist jetzt kabellos. Nachdem der Vorgänger M9000 per Kabel angesteuert wurde, beherbergt das M9200-Schaltwerk einen Akku und verfügt über Bluetooth-Funk wie der große Mitbewerber aus Amerika. Das ist aber bei weitem noch nicht alles.

Der neue XTR Antrieb in voller Pracht.

Schaltung

Bleiben wir aber erstmal beim Antrieb und da beim Schaltwerk. Allein bei diesem einen Bauteil hat sich richtig viel getan. Es wurde komplett neu gestaltet. Der Vorgänger sieht aus wie ein Alien aus Men in Black, das 2025er Modell wie ein bulliger, gedrungener, kompakter Rugby-Spieler. So als wolle es kaum Angriffsfläche bieten, wenn es aber sein muss, dann aber mit allem und jedem aufnehmen, der ihm in die Queere kommt. Genau das war der Hintergedanke.

Das neue XTR Schaltwerk.

Gebrochene Shimano-Schaltwerke sollen mit der neuen XTR der Vergangenheit angehören. Die Konstruktion ist durch die breiten Gelenke robust und die Silhouette keilförmig, damit alles abprallt. Zudem verfügt es über Gleitplatten und massive Schaltrollen. Selbst der Akku ist dermaßen ins Schaltwerk geduckt, dass er in seinem Leben keinen Feindkontakt haben wird. Fährt man mit der Präzision eines Monster Trucks und knallt das Schaltwerk gegen Felsen und Co, dann weicht es aus und die Impact Recovery Funktion stellt den Motor sofort in die ursprüngliche Position zurück. Im Gegensatz zum Mitbewerb funktioniert das mechanisch-magnetisch, also auch wenn der Strom alle ist.

Zur gesteigerten Robustheit passt auch, dass statt der Clutch ab sofort zwei Federn im Shadow ES System für noch mehr Kettenspannung sorgen (kleiner & weniger Wartung). Auch nicht unerheblich: Shimano vertraut nach wie vor auf das Schaltauge statt der direkten Verankerung am Rahmen.

Die Silhouette ist flach für wenig Angriffsfläche.

Zu einem kabellosen Schaltwerk brauchts natürlich auch einen kabellosen Shifter. Der hört auf den Namen Shimano XTR Rapid ES M9250 und ist weit weniger kompliziert, als sein Name vermuten lässt. Wer die mechanischen XTR-Shifter kennt, der wird die Paddels am neuen Shifter vertraut finden. Es ist ein definiertes Schalten, nur ohne Druck ausüben zu müssen. Die Paddels kann man in jede Himmelsrichtung einstellen, so unförmig können die Finger gar nicht sein, dass sie nicht passen würden. Über eine kleine dritte Taste kann man die Feinabstimmung vornehmen oder über die Shimano E-TUBE App anderweite Funktionen programmieren, wie zum Beispiel den Radlcomputer verbinden.

Der Shifter.

Für E-Bikes gibt’s übrigens das elektronische Schaltwerk ohne Akku. Da wird der Strom per Kabel dem Hauptakku entnommen. Die Ansteuerung erfolgt trotzdem per Funk mit dem Shifter.


Bremse

Die zweite große Neuerung der neuen Shimano XTR ist die Bremse. Genauer gesagt gibt’s gleich zwei Bremsen im 2025er XTR Line up. Die XC-Bremse M9200 entspricht fast 1:1 dem bisherigen Modell. Die Enduro-Bremse M9220 ist Shimanos bisher stärkste XTR-Bremse (nicht nur in Punkto Power sondern auch Robustheit) und eine komplett neue Konstruktion. Der gesamte Bremshebel ist parallel zum Lenker ausgerichtet, Drehpunkt und Leitungsführung wanderen näher an ihn heran. Der Hebel ist ergonomischer dank 5° Upsweep, der Reach Adjust integriert und im inneren werken Pulled Pistons statt Pushed Pistions.

Der neue Hebel schaut resoluter aus.

Bei beiden Bremsen kommt das neue, orange Mineralöl zum Einsatz. Es ist ein Öl mit niedriger Viskosität und soll Bremskraft und Druckpunkt bei allen Temperaturen konstant halten. Sehr erfreulich: Das einfache Entlüften bleibt.

Links das alte, rechts das neue Öl.

Gleiches Spiel am Bremssattel. Die XC-Version bleibt beinahe gleich (die Keramik-Kolben weichen Kunsstoffpendants), während die neue Enduro-Variante dem Kraftzuwachs entsprechend etwas wuchtiger wird, mit größeren Kolben. Bei beiden neu: klapperfrei, dank breiterer Bremsbeläge und ovalem Sicherungspin. Wer bisherige XTR-Beläge hortet, keine Sorge, auch die sind kompatibel.

Der Bremssattel ist neu und lässt sich mit XC- oder Enduro-Hebeln kombinieren.

Antrieb

Den Weg der spezifischen XC- und Enduro-Anwendung geht Shimano konsequenterweise auch bei allen anderne Komponenten. Auf Antriebsseite bedeutet das eigene Kurbel und eigene Kassette für die jeweilige Disziplin.

Die Kurbeln FC-M9200 (für Weightweenies) und FC-M9220 (Enduristen-Version) bestehen beide aus einer Stahl-Achse und einer Alu-Kurbel, geschmiedet im Hollowtech II-Verfahren. Unterscheiden tun sie sich in den Wandstärken und im Q-Faktor. Shimano schwört, dass die Enduro-Version die stabilste XTR-Kurbelgarnitur ist, die jemals produziert wurde.

Eine Augenweide!

Beiden Kurbeln gemein ist das neue Kettenblatt. Erhältlich von 28 bis 36 Zähnen.

Kassetten gibt es zwei. Einmal mit 10-51Z und 510% Übersetzungsbandbreite. Eimmal mit 9-45Z und 500% Übersetzungsbandbreite für weniger Gewicht und mehr Bodenfreiheit (Schaltwerk mit mittellangem Käfig möglich). Die Shimano XTR Kassetten kommen in einem Mix aus Stahl, Alu und Titan und verfügen über eine Weiterentwicklung der Hyperglide+ Technologie, die das Schalten unter hoher Last verbessert.

So spektakulär die Kurbel, so unspektakulären die Kassette.

Laufräder & Naben

Zu guter Letzt stellt Shimano im Rahmen der neuen XTR noch Laufräder und Naben vor. Der Fokus liegt wie bei der gesamten Gruppe darauf die Zuverlässigkeit zu steigern. Die Naben sind besser abgedichtet, wartungsfreundlicher und laufen leichter. Zudem greifen die Freilaufklinken mit einem Winkel von 3,5 Grad fast doppelt so oft ein wie beim Vorgänger (6,7°). Wichtig: Centerlock ist weiterhin der Standard.

Dezent fesch: die neuen XTR Naben.

Bei den Laufrädern wird erneut zwischen XC-Racing und Enduro-Robustheit unterschieden. Beide laufen auf Carbonfelgen. Für Cross Country ist sie 29,6mm breit, kommt mit Hook und geraden Titanspeichen. Für Enduristen ist sie hookless, 30mm breit und mit Edelstahl J-Bend-Speichen.


Am Trail

Na bumm. Ganz schön viele Produkte. Ganz schön viele Neuerungen. Ganz ganz viele Detailverbesserungen. Wie fährt sich das ganze?

Wir bekamen netterweise im März die Chance ein bisserl Zeit die neue Shimano XTR Gruppe in Spanien zu fahren – mehr Zeit auf den neuen Komponenten folgt und der Rapport dazu ebenfalls. Kurz gefasst lässt sich sagen: präzise. Die neue Shimano XTR macht komplett unaufgeregt das, was man von ihr erwartet.

Schaltet flott, selbst unter Last.

Sie schaltet flott und akkurat. Die Schaltpaddels sind recht gelungen. Obwohl auf vier Achsen einstellbar, mussten wir da gar nicht so viel herumjustieren, damit sie uns taugten. Zwei oder mehrere Gänge mit einem Drücker sind kein Problem. Die umgekehrte Belegung der Paddels (warum auch immer man das machen möchte) auch nicht.

Das Schaltwerk läuft geschmeidig, wie man sich das von einer XTR erwartet. Die kompakte Bauweise steht ihm. Ziemlich gelungen schaut die Position des Akkus aus. Der wirkt so gut geschützt wie das Känguru-Baby im Bauch seiner Mutter. Er verfügt über 310mAh und er soll keine Energie verbrauchen, wenn er nicht genutzt wird. Aufgeladen wird per Ladegerät mit USB-C-Anschluss in rund 1,5 Stunden.

Die Trails um Altea in Spanien boten mit ihrer Milliarde an groben Felsen ideale Bedingungen um zu testen, ob das neue Schaltwerk wirklich unkaputtbar ist. Wie das bei Gruppenausfahrten so ist, wurde oft übermotiviert und meist nicht ganz die saubere Linie gefahren. Beschädigte Schaltwerke gab’s trotzdem genau keins. Natürlich kein ausführlicher Test, aber in diesem Terrain hätten die Ausfahrten ganz anders ausgehen können.

Die neuen Shimano XTR Enduro-Bremsen sind ein Genuss. Sie funktionieren so präzise wie die Schaltung, haben richtig Kraft und liegen gut in der Hand. Im Vergleich zum Vorgänger wirken sie weniger filigran. Der leichte Upsweep drückt den Hebel dem Finger entgegen, sodass man nie das Gefühl hätte, man müsste aktiv schauen, dass der Finger vom Hebel rutscht. Ein Mini-Detail, das lange Abfahrten aber deutlich angenehmer machen kann. Die Reichweitenverstellung ist jetzt keine aufgesetzte Plastik-Flügelmutter mehr, sondern ein integriertes Schweizer Uhrwerk.

Bremsen mit Gefühl & Power. Ein Leichtes mit der XTR.

Zu den Kurbeln können wir nach dem Ausflug in Spanien nicht viel sagen, außer, dass sie sehr sexy ausschauen und keinerlei Mucken machen. War auch nicht anders zu erwarten. Als Edeltester hat die Shimano Crew Richie Rude, von dem sie sagen: „He breaks everything.“ Für die neue XTR galt die Prämisse: Etwas bauen, das nicht einmal Richie Rude bricht. Ob das gelungen ist, werden wir bald sehen. Wirken tun alle Komponenten auf jeden Fall schon mal so, als wären sie für härteres Fahren gewappnet.

Komponenten, die richtig gut funktionieren = viel Spaß am Radl.
Über den Author

Christoph Berger-Schauer

Dicke Schlappen, schmale Reifen, bergauf, bergab – ist für alles zu begeistern, nur flach darf es nicht sein. Unbekehrbarer Fahrrad-Afficionado, seit einiger Zeit vom Enduro-Virus befallen. Schreibt nieder, was andere nicht in Worte fassen können.

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