Evolution über den Bildschirm?

Michael VielhaberSzene

Red Bull TV Behind The Scenes Camera

Foto: Klemens König

Die Mountainbike-Welt steht in diesen Tagen Kopf. Der weltweite Radsport-Verband UCI hat beschlossen, dem MTB World Cup eine Frischzellenkur zu verpassen. Und seither hyperventilieren Fans in einschlägigen Foren ob ihrer Angst um unentgeltliche Livestreams von den Rennen oder feiern gegenteilig quasi die Befreiung des Abendlandes. Sehen wir uns in Ruhe an, was das für das Medienangebot bedeutet und welche Chancen sich darüber hinaus für den Sport insgesamt auftun.


So oder so: Die UCI macht ein Fass auf. Bekannt ist zwar vorerst nur der Umstand des Wechsels vom österreichischen Red Bull Media House zum US-amerikanischen Big Player Discovery ab der Saison 2023. Das klingt zumindest schonmal nach großer, weiter Welt. Der Medien-Multi aus den Staaten geht das Ganze augenscheinlich strategisch an. Denn über seine Tochter Discovery Sports hält er bereits seit 2021 die Rechte der Enduro World Series, ab nächstem Jahr runden Downhill und Cross Country das Portfolio ab. So kann man arbeiten – würde jetzt ein Medienmanager sagen, denn: prall gefüllter Rennkalender, steigendes Interesse des Publikums, boomender Branchenzweig, wachsendes Sponsoren-Engagement… also ist alles gut? Und was heißt das für den geneigten Fan vor den Bildschirmen? Zunächst: Ruhe bewahren, sich auf die kommende Saison freuen – und gespannt sein, was danach kommt.

Heuer bleibt alles wie gewohnt live und auch 2023 wird sich die Gaudi nicht auf Anhieb hinter einer Paywall verstecken. Erstens, um die Fans nicht zu vergraulen und zweitens wird man zuerst das Produkt mit Bedacht weiterentwickeln, Zeit genug ist ja bis zum Jahr 2030 – solange soll der neue Rechteinhaber das Sagen haben. Aufmerksame Zuseher*innen machen sich Sorgen um die Live-Übertragung. Zurecht. Denn der Aufwand, den das Red Bull Media House als Produzent betreibt, ist sagenhaft. Aber: Sitzt nicht ein Gutteil der Fans zu den Startzeiten selbst im Sattel und rewatchen nicht nur Nerds im Nachgang eine dreistündige Aufzeichnung? Da hat eine knackige Zusammenfassung, wie man sie etwa im Vorjahr bei der EWS (via GMBN bei YouTube) konsumieren konnte, auch ihre Reize. Dennoch: DH und XC lassen sich live effizienter produzieren als ein Enduro-Rennen.


Sitzt nicht ein Gutteil der Fans zu den Startzeiten selbst im Sattel und rewatchen nicht nur Nerds im Nachgang eine dreistündige Aufzeichnung?


Vergleichen wir kurz Äpfel mit Birnen: Formel 1-Alleinherrscher Bernie Ecclestone stand mit zunehmender Amtsdauer in der Kritik, 2016 kam schließlich der US-Investor Liberty Media und entwickelte die Formel 1 doch recht ordentlich weiter – allen anfänglichen Unkenrufen zum Trotz. Der Wechsel der UCI-Rechte vom Red Bull Media House zu Discovery Sports wird für die Fans vor den Bildschirmen also ein fliegender sein. Warum? Red Bull gibt sich bestimmt keine Blöße und wird heuer in gewohnter Qualität liefern – allein schon, um der UCI zu zeigen, worauf sie offenbar verzichten kann. Und Discovery wird nicht nur genau hinsehen und möglichst viele Elemente übernehmen, die nicht niet- und nagelfest sind, sondern auch die eigene Expertise nutzen – Radsportberichterstattung können die, das steht außer Frage.

Und das Red Bull Media House? Das wird nicht von heute auf morgen aufstecken, sondern weiterhin mit großartigem Content wie der Serie „Fast Life“ oder Vali HöllsPast Present Future“ am Ball bleiben. Gefühlt hat ja ohnehin jede/r Dritte eine blau-silberne Eierschale auf dem Kopf.  Die Fuschler machen also höchstens einen Schritt zur Seite, von Rückzug wird da nicht viel zu spüren sein. Heißt: So wird langfristig mehr für alle bleiben. Abseits der Content-Frage gibt es aber noch weitere Aspekte, auf die der neue Rechte-Deal Auswirkungen hat. Es geht nämlich nicht nur um die Übertragung der Bilder, sondern auch um die Organisation der Rennen. Und da wird es spannend. Der Blick auf den EWS-Kalender erinnert heuer einmal mehr an einen Europacup, wenn auch mit zwei Ausflügen in die USA.

Cross Country startet den Weltcup zwar heuer in Brasilien, der Rest der Rennen mutet aber (so wie auch im Downhill) ebenso wie eine transatlantische Meisterschaft an. Das ist auf Dauer, naja – fad, wenn man Geographie als Schulfach schätzt. Mit Afrika, Asien und Australien bleiben heuer gleich drei Kontinente komplett außen vor. Es bleibt zu hoffen, dass Discovery Sports diesem Umstand Rechnung trägt und den Sport mit neuen Veranstaltungsorten und Strecken auf eine breitere Basis stellt. Im deutschsprachigen Raum etwa beschränken sich die Rennen der vergangenen Jahre auf das „Bike Kingdom“ zu Lenzerheide und „The Epic Bikepark“ in Leogang – Bescheidenheit war sowieso gestern. Mit Blick auf Österreich hat sich Leogang als inoffizielles Heimrennen des roten Bullen mit massentauglichen Veranstaltungen als WM- und Weltcup-Host seit Jahren als Mekka des heimischen Mountainbike-Sports verdient gemacht. Doch sowohl in Sölden (erst vor wenigen Jahren als das „Whistler Europas“ angetreten) als auch im ausbaufreudigen Schladming, das eine gigantomanische Ski-WM zu verdauen hatte, hätte man gerne nicht nur den Ski-Weltcup neben der Ortstafel picken.

Damit sind wir beim Kern der Sache: wirtschaftliche Interessen. Die Schirmherrschaft des Brauseherstellers hat den Mountainbike-Sport auf ein Hochplateau gehoben, oder vielmehr auf einen exklusiven Präsentierteller gestellt, Discovery muss es nur abholen und kann heiß servieren. Es öffnet sich also alsbald der Markt für neue Sponsoren und Investoren, die ein Engagement bisher scheuten oder in der Dimension noch nicht angedacht haben. Und wieder spielt die Zeit eine bedeutende Rolle. Für die Teams und Fahrer gilt es, dieses eine Jahr für Akquise und Präsentation zu nutzen, um ab 2023 in neuem Medienglanze durchzustarten.

Nicht zuletzt muss man auch die sportliche Komponente sehen – und da schielen wir jetzt mal neidvoll auf andere Sportarten, die es zu den Olympischen Spielen geschafft haben. Im vergangenen Sommer konnte man sich fragen: Warum Surfen, Sportklettern und Skateboard – aber nicht Downhill? Warum zwölf Entscheidungen auf der Bahn aber nur zwei beim Mountainbiken? 2024 in Paris gibt’s übrigens Medaillen für Breakdance. Yeah. Bleibt zu hoffen, dass sich die UCI unter Mithilfe von Discovery zum Schotter führen lässt und dem Mountainbike die Tür für Los Angeles 2028 etwas weiter öffnet.

Über den Author

Michael Vielhaber

Journalist, Lehrer, Radfahrer – propagiert „work less, ride more“, schafft als Papa aber meist nur das Gegenteil. Trägt das Wadenhaar offen.

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