FJ goes Paralympics

Christoph Berger-SchauerLesestoff, Rennen

Franz-Josef Lässer Paralympics Paris 2024

Fotos: ÖPC / GEPA Pictures

Franz-Josef Lässer, unser multi-radsportlender Kolumnist vom letzten Jahr, wird in Kürze bei den Paralympics in Paris antreten. Hier schildert er seine Vorbereitung und die anstehenden Wettkämpfe.


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Status quo Routine

Tagwache um Nullsiebenhundert. Kurz in die Sonne, Serotonin, let‘s go. 15 Minuten Duolingo Französisch. Gefolgt von einem Griff zu den Overnightoats und ab zum Frühstück. Ein, zwei Kellner beim Büffet, ansonsten Totenstille, wohl das reale Klischee-Italien. Manchmal sitzt Gianmarco, der sich gerade auf die Vuelta vorbereitet, schon da. Wir quatschen, was mein Italienisch hergibt, jeder isst seinen Oaty, vielleicht einen Grüntee dazu, „Ci vediamo dopo“ und ab auf die Yogamatte für ein paar Minuten Mobility. Sobald die rostigen Knie wieder geölt sind, ab in die Radhose und ordentlich Malto in die Flaschen. Vielleicht noch ein Stamperl Post-Ride-Proteins herrichten und noch einen kurzen Erinnerungsblick auf den heutigen Schlachtplan. 5 Stunden mit VO2max-Intervallen und 20 Minuten locker am Bahnrad auf der Walze – andiamo. Die Einheit führt mich nach Bormio, erster Satz Bormio 2000 hinauf, zweiter auf der Strada dello Stelvio und den dritten am Retourweg am Foscagnopass. Abdulla Alhammadi vom UAE National Team gesellt sich beim Ausfahren noch kurz zu mir. Schon wieder eine Einheit rum und ein Prozent mehr Schenkelstrichkontrast. Reis, Olivenöl, gekochtes Ei und Insalata Mista gibt’s als Nachmittagssnack. Während dem Essen spielt gerade Djokovic um Gold. Darauf einen schnellen Decaf Doppio, während ich den Laptop aufklappe und ein paar Reime fürs LINES Mag schmiede. „Wenige Zeilen später, das Abendmahl uns erwartet gediegen, Spaziergang über zwei Meter, gegessen wird dann um Sieben.“ Zum Abendessen gibt’s fancy Buchweizenpasta in zwangloser Mountainbikeatmosphäre. Eva Herzog, Lukas Hatz und Alex Hammerle, die sich allesamt für die MTB-WM in Andorra vorbereiten, sind mittlerweile auch am Eira Pass in Livigno eingetrudelt. Und wie sagt man so schön: „Gegensätze ziehen sich an“. Beim Essen stehen die klassischen, legeren MTB Vibes in der Luft, beim Training aber könnte unsere Routine nicht unterschiedlicher sein. So viel wie die Compagnons im Gelände sind, so viel hänge ich im Zeitfahr-, Renn- und Bahnradsattel. Wie im Physikunterricht ist Dynamik, Actio und Reactio garantiert. Später noch eine Runde dehnen, doppelt Punkte auf Duolingo abcashen und „Buona Notte“.

Wenn ich Tagebuch schreiben würde, könnte so ein Auszug aus der Paralympicsvorbereitung ausschauen. Eine Vorbereitung, die ich „glücklicherweise“ fast 100% selbst in der Hand habe, also selbst beeinflusse…

Franz-Josef Lässer Paralympics Paris 2024
FJ komplett ready für Paris.

In Bocca al Lupo

… heißt wörtlich übersetzt „Im Maul des Wolfes“ und sinngemäß so viel wie „Hals- und Beinbruch“ oder einfach „Viel Glück!“ Das Glück ist wohl einer der wenigen Faktoren, den Olympioniken und Paralympioniken nicht 100% beeinflussen können. „Aber das Glück ist ein Vogerl und wenn es vorbeifliegt, muss man in der Lage sein, die Hand auszustrecken.“ Ich habe aktuell die glückliche Ausgangslage, dass ich mich auf meine erste Paralympics-Teilnahme vorbereiten darf. Ich trainiere seit meinen ersten Rücktrittbikerennen im Alter von 5 Jahren, ich trainiere seriös nach Trainingsplan seit ich 15 Jahre alt war. Jetzt bin ich 23, habe mich für meine ersten Paralympics qualifiziert und noch dazu die Unterstützung von einem Weltklasse-Trainerteam. Ohne diese Menschen wäre ich nicht das, was ich jetzt bin. Martin Appel (Sportpark Graz) und Helmut Dollinger (Dollinger Coaching) in der Remoteplanung und allen voran Frédéric Jansen (Wattwerk), der mit mir gut 2 Monate diese Saison bei Einsätzen und Trainingseinheiten unterwegs ist. In wenigen Tagen steht das letzte Bahntrainingslager mit Freddy an, bevor es nach Paris geht. Von 7:45 bis 16:00 Uhr stehen wir da meistens auf der Bahn, großteils wird natürlich trainiert. Mittagspause gibt’s auch, aber läuft meistens auf Materialbesprechungen und Backoffice raus bzw. muss ich einen schnellen Powernap reinquetschen, um den Nachmittag zu überleben, haha. Eventuell analysieren wir dann noch bis 18 Uhr Rennen und besprechen Taktiken. Gegenüber meinem Team und vor allem mir selbst, fühle ich mich da schon fast irgendwie respektlos, wenn ich nicht jeden Tag meine absoluten 100% abrufe. Am Ende des Tages muss man seinen eigenen Standards gerecht werden. Aber genau dieser Einsatz ist wahrscheinlich das absolute Minimum, das es für die Weltspitze braucht. Frédéric wird auch in Paris beim wichtigsten Bewerb direkt neben mir auf der Bahn stehen. Und wenn, verdammt nochmal, eines garantiert ist, dann, dass wir nicht zu den Spielen fahren, um „dabei zu sein“. Wir haben gute Karten, All-In ist die Devise.

Franz-Josef Lässer Paralympics Paris 2024

Les Courses à Paris

Mein wichtigster Bewerb ist die 4km Einerverfolgung auf der Bahn. Für alle, die sich nicht auskennen, das ist das, was dieser komische Filippo Ganna macht. Auch 4km Individual Pursuit, 4km Poursuite Individuelle oder 4km Inseguimento Singolo genannt. Wir fahren indoor auf einer 250 Meter Holzbahn. Die 250 Meter gelten dabei für den kürzesten Umfang, also den Innenumfang der Bahn, welcher mit einer schwarzen Linie gekennzeichnet ist. Bei der Verfolgung gilt es 4 Kilometer, sprich 16 Runden, so schnell wie möglich zu absolvieren. Daher wird im Idealfall im Bereich dieser schönen schwarzen Linie verfolgt, im nahe liegenden Fachjargon nennt man sie auch Verfolgerlinie. Es starten pro Heat jeweils 2 Athleten, einer auf der „Homestraight“ und einer auf der „Backstraight“, also den zwei Geraden der Bahn. Startschuss und dann wird verfolgt. In den Qualifikationsläufen werden die schnellsten 4 Fahrer overall ermittelt. Platz 1 und 2 fahren im großen Finale um Gold, Platz 3 und 4 fahren im kleinen Finale um Bronze. Macht Sinn, oder? Ach ja, nicht zu vergessen: Im Finale kann man theoretisch anders taktieren. Wenn man nämlich seinen Gegner einholt, hat man automatisch gewonnen und es wird „abgeschossen“. Wenn der überholende Athlet auf Weltrekordtempo unterwegs ist, kann dieser natürlich auch die vollen 4 km fertig fahren. Bei meiner letzten WM in Rio Ende März bin ich hauchdünn als Vierter ins kleine Finale gerutscht und habe mir dort dann Bronze geholt.

Mein restlicher Speiseplan für Paris beinhaltet noch als Aperitif das 1 km Zeitfahren auf der Bahn und als Dessert die Straßenbewerbe. Leider müsste ich beim 1 km Zeitfahren wohl 20kg zulegen um vorne mitzumischen, das ist ein reiner Sprintbewerb. Und wer will schon 20kg zulegen? haha. Bei den Straßenbewerben ist die Medaille wahrscheinlich in ähnlicher Reichweite wie auf der Bahn. 3 Sekunden haben mir beim letzten Weltcup aufs Zeitfahrpodium gefehlt. In der Verfolgung sind das Welten, aber auf 35 Minuten Rennzeit auf der Straße ist das ein Griff zur Trinkflasche. Den Abschluss vom Abschluss macht das Straßenrennen, das Roulette unter den Para-Cycling Disziplinen. Alles ist möglich. Großes Risiko kann groß belohnt werden.

Ich zieh mir jetzt wieder die Radhose an und mach mich auf den Weg Richtung Radkeller. Danke an alle, die meinen Weg so tatkräftig mitverfolgen. Anbei kommt noch ein kurzer Timetable. Die Eröffnungsfeier findet am 28. August statt, mitverfolgen könnt Ihr die Action auf ORF und ORF Sport+.

Ci vediamo dopo, Ragazze e Ragazzi!


Le Programme

BAHN

Men’s C4-5 1000m Time Trial – Qualifying | Freitag, 30.8.2024 | ca. 11.45 UHR

Men’s C5 4000m Individual Pursuit – Qualiying | Samstag, 31.8.2024 | ca. 12.00 UHR

Men’s C5 4000m Individual Pursuit – Finals | Samstag, 31.8.2024 | 15.13 UHR


STRASSE

Men’s C5 Individual Time Trial – 2 Laps/28,3km | Mittwoch 4.9.2024 | 14.00 bis 14.30 UHR

Men’s C4-5 Road Race – 7 Laps/99,4km | Freitag, 6.9.2024 | 9.30 UHR

Franz-Josef Lässer Paralympics Paris 2024
FJ mit Teamkollege bei der Trikot-Anrpobe.
Über den Author

Christoph Berger-Schauer

Dicke Schlappen, schmale Reifen, bergauf, bergab – ist für alles zu begeistern, nur flach darf es nicht sein. Unbekehrbarer Fahrrad-Afficionado, seit einiger Zeit vom Enduro-Virus befallen. Schreibt nieder, was andere nicht in Worte fassen können.

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