ABS für’s Radl

Christoph Berger-SchauerMaterial

Fotos: Bosch

Bosch hat heuer ein ABS für eBikes vorgestellt und wir sind’s gefahren.


Mehr als 40 Jahre hat’s gedauert, bis die Technologie blockierende Räder zu verhindern vom Auto ins Fahrrad gewandert ist. Konkret war es im Jahr 1978 als Bosch die Fertigung für das elektronische Auto-ABS anwarf. 1986 waren’s dann bereits eine Million ABS-Systeme. 1995 bekamen Motorräder ein Antiblockiersystem. Da fragen sich schon einige: Braucht man das? Und die Frage wiederholt sich im Jahr 2022. Brauche und will ich ein ABS auf meinem Fahrrad?

Schauen wir uns erst einmal das System an. Es ist nicht der erste ABS-Anlauf, den Bosch bei Fahrrädern unternimmt. Bereits 2018 hat der Hersteller ein eBike ABS auf den Markt gebracht. Die Funktionen ähnelten dem neuen System. Die Umsetzung war aber noch etwas sperrig. Die Marktdurchdringung hielt sich in Grenzen.

Bosch eBike ABS von 2018

Das neue eBike ABS kommt um einiges ausgereifter daher. Die ABS-Einheit sitzt recht unauffällig am Gabelcasting. Sensoren sind an der vorderen und hinteren Bremsscheibe. Der spezielle Bremshebel kommt von Magura. Laut Bosch ist das gesamte System um 77 Prozent kleiner und 55 Prozent leichter als jenes von 2018. In Anbetracht der Bilder vom Vorgänger glauben wir das sofort.


Großes Ziel des eBike ABS ist es, blockierende Vorderräder und damit Stürze zu verhindern. Damit gibt’s Entwarnung für alle Schleiferl-Zieher. Das Hinterrad wird zwar per Sensor überwacht, doch blockieren kann man es trotzdem. Es werden lediglich die Geschwindigkeiten der Laufräder abgeglichen. Den während das System das Vorderrad blockierfrei hält, eliminiert es einen weiteren Sturzfaktor, indem es dafür sorgt, dass das Hinterrad am Boden bleibt. Auch „Hinterradabheberegelung“ genannt. OTBs, adieu!

Vorweg: Nachrüsten kann man das ABS nicht. Es muss vom Radhersteller verbaut sein. Das machen aktuell KTM, Haibike, Centurion, Riese & Müller, E BIKE Advanced und Zemo. Je nach Einsatzbereich des Rades sind entsprechende Modi des ABS freigeschalten. Da gibt’s beispielsweise ABS Cargo für Lastenräder, ABS Touring für das Citybike, ABS Allroad für das leichte Gelände und – für uns am spannendsten – ABS Trail, das auf eMTBs eingesetzt wird.

Immer diese Skater! Für solche Fälle ist das Bosch eBike ABS prädestiniert.

Wie fährt sich das ABS?

Die kurze Antwort. Todeleinfach. Wir haben’s im Rahmen des Mountainbike Kongress Österreich am Spielberghaus ausprobiert. Der Fahrtechniktrainer in unserer Gruppe sah da sein Kurse für „richtiges Bremsen“ bereits obsolet werden. Man kann beherzt in die Vorderbremse greifen, ohne sich groß Gedanken machen zu müssen, dass gleich der Vorderreifen blockiert und wegrutscht.

Klar, physikalische Grenzen kann auch ein ABS nicht außer Kraft setzen. Es funktioniert nur so lange wie der Reifen auch Grip hat. Durch das Nicht-Blockieren hat er aber definitiv länger Grip. Besonders gut funktioniert das System auf Forststraßen – der aufgelegte Einsatzbereich für das ABS im Mountainbike-Sport. Jeder von uns kennt (E-)Biker*innen, die gerne zur Almhütte auf einen Kaiserschmarrn fahren, aber schon beim Zwetschkenröster zittern, wie sie wieder runterkommen. Mit dem Bosch eBike ABS wird das sowas von leicht.

Wir haben uns als LINES dem Mountainbiken auf Trails verschrieben, deshalb sind wir mit dem Bosch ABS nicht auf der Forststraße geblieben. Benutzt man beide Bremsen – wie man das normalerweise auch machen würde – ist das Radl-Antiblockiersystem absolut unauffällig. Man merkt es schlichtweg nicht. Einzig auffällig ist der riesige Magura Bremshebel, bei dem man sich nicht entscheiden kann ob man einen oder zwei Finger verwenden soll.

Mit dem Trail-Modus würden wir uns auch auf Flowtrails trauen – und unerwarteten Hindernissen gelassen ins Auge schauen.

Wie schaut’s aus, wenn man einen steilen, ausgewaschenen Trail nur mit der Vorderbremse zu bewältigen versucht? Erstmal raucht unten die Bremse. Das Gewicht eines E-Bikes in Kombination mit viel Gefälle bringen jede Mountainbike-Bremse schnell ans Limit. Zweitens: Es geht. Das ABS reduziert die Bremskraft wenn der Reifen keinen Grip hat und verzögert, wenn wieder welcher da ist. Konstanter Druck am Bremshebel ist also nicht gleich konstante Bremsleistung. Das ist richtig ungewohnt. Vor allem in jenen Situationen, wenn man bremst, der Reifen Grip verliert und das System deshalb aufmacht werden die Augen groß. Aber wer fährt schon einen Trail nur mit der Vorderbremse?

Richtig eindrucksvoll ist hingegen der Blindtest am Höll-Trail beim Spielberghaus, zu dem uns die Bosch Crew motiviert. Den ersten Drop nehmen, die Augen schließen und in der Luft kräftig die Vorderbremse ziehen. Würde bei einer normalen Bremse vermutlich in einem Ausflug mit dem Christophorus-Hubschrauber enden, geht mit ABS aber total unspektakulär aus: Stillstand vor der ersten Wurzel. Kein Überschlag, kein Blockieren, nichts.


Fazit

Warum’s so lange (23 Jahre) gedauert hat bis eine Motorrad-Technologie eingang in den Fahrrad-Sektor findet, wissen wir nicht. Für all jene, die Schweißausbrüche vor Forststraßenabfahrten bekommen, ist das Bosch eBike ABS die Erlösung. Da kann das System richtig viele Unfälle vermeiden. 1995 hat Bosch übrigens das erste Elektronische Stabilitäts-Programm (ESP) vorgestellt. Mal schauen wie lange das dauern wird…

Über den Author

Christoph Berger-Schauer

Dicke Schlappen, schmale Reifen, bergauf, bergab – ist für alles zu begeistern, nur flach darf es nicht sein. Unbekehrbarer Fahrrad-Afficionado, seit einiger Zeit vom Enduro-Virus befallen. Schreibt nieder, was andere nicht in Worte fassen können.

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