9 Finger für Kanada – Whistler

Christoph Berger-SchauerReise

9 Finger für Kanada Teil 2 Whistler

Zwei Wochen Biken in British Columbia, Kanada. Eine Traumreise mit Handicap. Teil 2: Whistler.


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W-H-I-S-T-L-E-R

Die berühmteste Liftschlange der Bike-Welt. Endlich. Drei Dutzend Mal musste ich um die Sonne gondeln, um endlich hier aufzuschlagen.

Wie ich hier hergekommen bin? Mit dem Bus (ja, Öffis gibt’s auch in Nordamerika). Nach grandiosem Feuerwerk und einer Nacht in der Jugendherberge – wo man heute mit schwierig ins Reden kommt, Handys sei Dank – tucker ich in von Vancouver ins Whistler Village. Manu von Marin holt mich ab. In einem Pickup, dessen Motorhaube ihre Erscheinung überragt. Sie ist in Radl-Kluft und hat offenbar keine Zeit zu verlieren. Flott in die Unterkunft, kurze Einschulung im Ferienhaus, umziehen, zwischen Tür und Angel den Marketing-Chef John kennen lernen und dann stehen schon in der berühmten Liftschlange. Mit einer 3-Tageskarte und dem neuen Downhill-Radl Quake in der Hand. Könnt schlechter laufen.

Die berühmteste Bike-Liftschlange der Welt.

Apropos Liftschlange. Rheeder, MacDonald, und jede*r mit Rang und Namen. Bike-VIP-Count: 100. Es ist viel los, geht aber flott. Wie geil ist die Idee mit der Wasserfontäne?! Seinen Platz in der Schlange muss man nicht verlassen, sondern kann trinken, wenn man beim Anstellen dran vorbeikommt.

Crankworx. Man kann zuschauen oder beim Biken zuschauen.

„Ich bin gespannt, was du zur Crew sagst“, meint Manu. „Marin ist wirklich ein bisserl anders als andere Marken.“ Am Sessellift versucht sie Cippy zu erreichen, den Produktmanager vom Quake. Der treibt sich irgendwo im Bikepark umeinander. Hebt nicht ab. Ist vermutlich gerade mit Berms und Tables beschäftigt. So drehen Manu und ich eine Runde um die andere. Wohin wir fahren wissen wir nicht so genau. Der Whistler Bike Park ist am Anfang nämlich vor allem eins: Überforderung pur. Es gibt so unendlich viele Strecken (158 laut Trailforks) und noch viel mehr Kombinationen. Alle zwei Minuten steht man an einer Kreuzung mit weiteren drei bis fünf Optionen. Allein den Weg nach unten zu finden, kann für mitteleuropäische Bikeparkfahrer in ein Kartenstudium ausarten. Manu und ich machen unsere Laps deshalb lieber auf’s gerade Wohl. „Original Sin hört sich gut an, oder?“ Nehmen wir. Große Rockslabs, fette Wurzeln, massive Stufen – aber geil. Wir schaffen’s irgendwie ausschließlich auf schwarzen Trails zu landen. Angst vor Bären? 2 von 100.

Kurz darauf treffen wir – per Zufall – auf Cippy. Er hat Luke von Mountain Bike Action/Bike Radar im Schlepptau. Ab da ist die Navigation ein Kinderspiel. „I heard Schleyer to B-Line to Wednesday Night Delight to Polp Fiction to Longhorn and then A-Line to Hornet is pretty sick right now“, meint Cippy. Ich hab keinen Tau was das heißt, übersetz es für mich aber in: Jetzt heißt’s Hinterrad halten. Gemeinsam mit Cippy und Luke drehen Manu und ich ein paar flotte Runden.

Devise: Hinterrad halten!
Foto: Kateland

Um 17.30 Uhr wird beschlossen Feierabend zu machen. Wie lang der Lift noch fährt, frag ich. „Fitzsimmons? Until eight.“ Danke – und tschüss. Zehn Sekunden drauf sitz ich wieder am Sessellift. Ich bin zwar schon gut durch – Whistler ist richtig ruppig! – aber wenn mal ein Lift lang fährt im Sommer, lass ich mir das nicht entgehen. Stoke überwiegt Müdigkeit. In dieser Hinsicht taugt mir Kanada enorm: Nix mit 16.15 Uhr letzte Fahrt – Last Chair um 19.55 Uhr it is!

19.55 Uhr. Last Chair, bitte sehr!

Im Bike Business machen ja alle Marken auf sehr cool. Wenn sie zu einem Pressecamp einladen, dann ist das Setting familiär-lässig, man soll sich als Medienvertreter wohlfühlen (nanonaned), alle sind gut drauf und sehr „socializing“ unterwegs. Irgendwann kommt aber der Moment, wo das Bike in die Ecke gestellt und Business geredet wird. Dann muss man sich hinsetze und für eine/mehrere Stunde/n einer möglichst innovativ wirkenden Präsentation lauschen. Insofern hatte Manu zu 100% recht, als sie meinte, dass „Marin anders ist“. Auch hier ist alles sehr locker-lässig. So lässig, dass beim Haus-BBQ ungefähr doppelt so viele Leute kommen, als erwartet. So locker, dass John (zur Erinnerung: Marketing-Chef), Manu (Marketing DACH) und ich am Tag des Crankworx-Queen-Titelgewinns von Martha Gill (Marin Teamfahrerin) durch Whistler schlendern und ein Geschenk für sie suchen. Die Leute sind extrem nett, offen und chillig drauf. Doch der Moment Tacheles, also übers Produkt zu reden, kommt nie. Dafür waren alle viel zu beschäftigt mit Radlfahren. Will ich etwas übers neue Quake wissen, muss ich John beim BBQ mit einem Bier in der Hand fragen oder Cippy im Bikepark auf den Fersen bleiben und am Sessellift ausfalscheln. Im Übrigen bin ich mir sicher, dass niemand aus der ganzen Marin Crew auch nur annähernd so viele Laps gedreht hat, wie der Produktmanager selbst. Ich finde das sagt alles über den Spirit aus.


Der Bikepark-Gerät: Marin Quake.

Als interessierte*r Biker*in und Leser*in hat man aber natürlich das berechtigte Interesse zu erfahren, wie sich der neue Marin Downhiller fährt. Also setzen wir uns kurz hin und reden Tacheles. Die einfache Antwort: Ich bin sehr froh, dass ich im Whistler Bikepark auf dem Quake unterwegs sein durfte. Es schlägt nämlich ordenltich im Bike-Mekka. Ist erstmal der ganze Loam zu Staub zerfahren, wird Granit der Untergrund. Auf geshapten Trails findet man Löcher, die ganze Laufräder verschlucken könnten.Da hilft ein Radl, das staibl liegt, richtig.

Marin hat sich – vor allem in den letzten Jahren – einen Ruf geschaffen, Bikes zu bauen, die super funktionieren und dabei auch noch robust und leistbar sind. Das Quake reiht sich da nahtlos ein. Besonders für ein Downhill-Radl klasse Eigenschaften. Es ist ein brutal solides Paket. Sehr leicht zu fahren. Gutmütig. Kein expliziter Racer (wobei mich die Jones-Brüder bei der Red Bull Hardline eines Besseren belehrten). Geht auch um enge Kurven gut, so wie die auf den schwarzen Trails in der Creekside Zone. Drei Tage Whistler-Vollgenuss setzten mir definitiv mehr zu als dem Quake. Das einzige, das ich am Bike zum Schwitzen brachte, waren die Speichen am Hinterrad. Nichts was mit ein bissl Speichenschlüssel-Einsatz nicht sofort behoben gewesen wäre. Das Quake vermittelt unglaublich viel Sicherheit, dass ich mich sogar an Filthy Ape herantraute. Auf der anderen Hand war’s erfreulicherweise nie träge. Selbst Enduro-mäßige Trails wie Top of the World (dazu kommen wir später noch) waren damit mega. Für € 5.299,- kriegt man von den Kaliforniern ein Spaß-Paket für den Bikepark überreicht, das vom Coil-Dämpfer bis zur Glitzer-Lackierung alle Stückerl spielt. Tacheles Ende.

Am Quake geht vieles leicht von der Hand.

Zurück zur Marin Crew. Unsere Truppe – ein Traum. Manu, als Einzige am Enduro unterwegs, lässt sich auch von den bockigsten Trails nicht unterkriegen. Luke, der britische (Ex-)Racer, der ausschließlich 3-Minuten-Downhills gewohnt ist. Flo von Fast AF*, der unglaublich unterhaltsame Franzose, der jeden Landsmann vom Sessellift aus kennt (und alle ihn). Cippy, Produktmanager und Bikepark-Heavy User. John, der sympathisch-verpeilte Marketing-Chef. Morgane Such, erste Snow Bike-Weltmeisterin und eine Frohnatur am und neben dem Radl. Die gutgelaunten Les Chèvres De Montagne-Girls aus dem französisch-sprechenden Teil Kanadas. Und Vinny Moonen, der roughe Trails hasst (willkommen in Whistler!).

Apropos Vinny. Traileinstieg Dirt Merchant. Wir sind spät dran. Luke steht schon mit Matt Jones und Sam Reynolds für eine Kamerafahrt parat. Übrigens Bike-VIP-Count: 103. Wir wollen uns anschließen. Dirt Merchant? Den Namen hab ich schon mal gehört. „Wie ist der?“ frag ich Vinny, den ich tags zuvor auf technischen Trails ob seiner horriblen Linienwahl herumeiern sah. „Smooth, nothing to watch out really, no gaps.“ Ah, klingt easy – bis sich Sam Reynolds zu mir dreht und meint: „There are definitely gaps!“. Alle setzen die Goggles auf und treten an. Flo und ich – beide Whistler-Neulinge – hechten hinterher. Es wird sehr schnell schnell. Und es wird auch nicht mehr langsamer. Sprünge tauchen auf, in der Größe von Einfamilienhäusern. Halb versuchen wir den Anschluss an die Vordermänner zu halten, halb zu erkennen, was auf den gelben Schildern steht, an denen wir vorbeirauschen. Keine Chance. Im Sog des Quartetts schießen wir uns über massive Tables und Wasserrinnen, die an anderen Orten der Welt als 1A Gap deklariert wären. Auf einer Holzkonstruktion stattlichen Ausmaßes verlässt uns beide die Courage. Bevor wir in unbekanntes Land segeln und unseren Whistler-Ausflug vorzeitig beenden, ziehen wir die Bremsen. Wir blicken ehrfurchtsvoll hinunter. Ein Holzdrop wie ein Balkon.

Top of the World in Sicht.

Zurück zu erfolgreicheren Aktivitäten im Whistler Bikepark. Loamanade zum Beispiel. Wo der Name Programm ist. Kurz, aber frisch. Erdqualität: jungfräulich. Hätt ich den ganzen Tag fahren können, hätt ich nicht den Stress von 157 anderen mir unbekannten Trails gehabt. Top of the World, zum Beispiel. Wer die EWS-Bilder von früher verfolgt hat, kriegt Bilder von diesem Trail nicht mehr aus dem Kopf. Für den exponierten Sessellift ganz rauf ist ein Extra-Ticket notwendig. Hätt’s mir Marin nicht spendiert, ich hätt’s sogar selbst berappt. Es zahlt sich definitiv aus. Vor allem für einen Whistler-Rookie. Vor allem, wenn man es auf der Lebens-Bucket-List stehen hatte. Obwohl gar nicht so hoch (2.130 Meter über Seehöhe) fühlt man sich in der Tat wie am Gipfel der Welt. Nur mit mehr Sauerstoff, vielen Halbschuh-Touristen (die sich wie auf einer Everest-Expedition fühlen) und einem richtig langen, richtig geilen Trail.

Top of the World-Crew.
EWS Feeling!

Vorletzter Run im Whistler Bikepark. Die Sonnenstrahlen leuchten kitschig-golden. Mein Schweizer Freund Flu hat sich zu Mau und mir auf den Sessellift gesellt. Der Lift-Talk schwenkt auf Bären. Manu und ich monieren, dass wir noch keinen einzigen gesehen haben (ich froh, sie enttäuscht). Just in dem Moment – kein Schmäh! – stapft einer direkt unter uns in der Lifttrasse umher. Alle sind aus dem Häusl, nur der Bär nicht. Für den sind Leute am Lift so normal wie für Wiener U-Bahn und Fiaker. Noch ein Hakerl auf der Lebens-Bucket-List.

Wir beenden mein Whistler-Abendteuer mit Feierlichkeiten rund um Martha Gills Crankworx-Titelgewinn. Die ganzen Marin Crew feiert. Unsererseits beschleunigt durch das Vertagen des Abendessens auf morgen. Von John’s Seite beschleunigt durch das Bestellen von zwei Champagner-Gewehren. Jede Menschenseele, die aktuell in Whistler weilt, scheint sich im Longhorn eingefunden zu haben. Inklusive dem gesamten Crankworx-Zirkus. Die Bude inklusive Gastgarten ist bummvoll. Wenn jeder seinen Hornstar Party Series Pass achtmal benutzt, so wie wir, auch kein Wunder. Bike-VIP-Count: unendlich.

Den Bus am nächsten Tag um 7.30 Uhr zurück zum Flughafen zu erwischen ist hart. Es war aber mit diesen Leuten jede Minute wert. Schlafen kann man auch im Flieger. Ich noch dazu richtig gut. Danke an Marin – over and out.

Fingerstatus: Tag nach der Ankunft. Wieder daheim. Termin im Krankenhaus. Fäden kommen raus. Der alte Nagel ist weg, das Nagelbett liegt ungeschützt frei. Es gibt schönere Gefühle. „Alles schön verheilt“, meint die Ärztin, „aber schonen sie den Finger noch.“ Auf jeden Fall, sag ich, und fahr‘ zum Kronplatz. Der Herrensteig kostet meinem Whistler-erprobten Finger nur ein müdes Lächeln.

Bleibt die Frage: Ist Whistler wirklich so geil? Zahlt es sich aus? Ja. Gute Strecken gibt’s mittlerweile auch anderswo. Das Flair, der Charakter der Trails, die schiere Auswahl an Optionen – das spricht schwer für einen Ausflug ins Mekka. Das eigene Mindset sollte man allerdings vor dem Flug schon auf „ruppig“ programmieren. Kindergeburtstag ist der Whistler Bike Park keiner.

Wenn du dir mehr Eindrücke vom Biken in Whistler holen willst, dann wirf mal einen Blick in die LINES Traildatenbank.


Du hast Teil 1 verpasst? Keine Sorge, den findest du hier.

Über den Author

Christoph Berger-Schauer

Dicke Schlappen, schmale Reifen, bergauf, bergab – ist für alles zu begeistern, nur flach darf es nicht sein. Unbekehrbarer Fahrrad-Afficionado, seit einiger Zeit vom Enduro-Virus befallen. Schreibt nieder, was andere nicht in Worte fassen können.

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